Das Grauen im Museum
schlafen kann, damit wäre mir schon gedient. Den Wagen kann ich auf der Straße stehen lassen ein bißchen Regen wird ihm nicht weiter schaden.«
Als ich diese unerwartete Bitte vorbrachte, wich der Ausdruck stiller Resignation auf
dem Gesicht des alten Mannes jäher Überraschung.
»Sie wollen hierübernachten?«
Mein Ansinnen schien ihn so aus der Fassung zu bringen, daß ich meine Bitte wiederholte.
»Ja, warum nicht? Ich versichere Ihnen, ich werde Ihnen keine Umstände machen. Was bleibt mir denn anderes übrig? Ich bin fremd hier, diese Straßen sind im Dunkeln ein einziges Labyrinth, und ich möchte wetten, daß es spätestens in einer Stunde in Strömen gießt…«
Diesmal fiel mein Gastgeber mir ins Wort, und seine tiefe, melodische Stimme hatte jetzt einen seltsamen Unterton.
»Daß Sie hier fremd sind, kann ich mir denken, denn sonst würden Sie nicht auf die Idee kommen, hier zu übernachten; Sie wären überhaupt nicht hergekommen. Niemand kommt heutzutage noch in dieses Haus.«
Er hielt inne, und mein Verlangen, bei ihm zu bleiben, steigerte sich tausendfach durch’ die geheimnisvollen Andeutungen in seinen lakonischen Worten. Der Ort hatte unzweifelhaft etwas bestrickend Eigentümliches, und der durchdringende
Modergeruch schien die seltsamsten Geheimnisse einzuhüllen. Trotz des schwachen Lichtscheins, den die einzige kleine Lampe verbreitete, fiel mir erneut auf, wie hinfällig alles um mich herum war. Mir war kalt, und ich stellte zu meinem Bedauern fest, daß das Haus offenbar nicht geheizt werden konnte; doch so unwiderstehlich war meine Neugier, daß ich nach wie vor nur den Wunsch hatte, hierzubleiben und etwas über diesen Eremiten und seine trostlose Behausung in Erfahrung zu bringen.
»Das mag ja alles stimmen«, erwiderte ich, »aber was andere tun oder lassen, ist mir gleichgültig. Mir geht es nur darum, bis zum Morgen ein Dach über dem Kopf zu haben. Dennoch, wenn andere dieses Haus meiden, könnte das dann nicht daran liegen, daß es so heruntergekommen ist? Ich kann mir natürlich denken, daß es ein Vermögen kosten würde, ein solches Anwesen in Ordnung zu halten, aber wenn Ihnen die Belastung zu groß ist, warum suchen Sie sich dann nicht eine kleinere Unterkunft? Warum bleiben Sie hier und nehmen all diese Unbequemlichkeiten und Entbehrungen auf sich?«
Der Mann schien kein bißchen gekränkt, sondern antwortete mir mit großem Ernst.»Natürlich können Sie bleiben, wenn Sie das wirklich wollen. Ich wüßte nicht, was Ihnen hier geschehen könnte. Andere behaupten jedoch, hier seien gewisse ungute Einflüsse am Werk. Was meine Person betrifft, ich halte hier aus, weil ich muß. Es gibt hier etwas, das zu behüten ich als meine Pflicht ansehe, etwas, was mich hält. Ich wünschte, ich hätte das Geld und die Gesundheit und die Kraft, dem Haus und dem Grundstück die gehörige Pflege angedeihen zu lassen.«
Durch diese Andeutungen noch neugieriger geworden, faßte ich den Vorsatz, meinen Gastgeber beim Wort zu nehmen, und folgte ihm langsam die Treppe hinauf, als er mich durch eine Geste dazu aufforderte. Es war jetzt schon ganz dunkel, und ein leises Plätschern draußen verriet mir, daß es tatsächlich zu regnen angefangen hatte. Ich wäre um jede Unterkunft froh gewesen, aber diese war mir durch die Geheimnisse, die das Haus und seinen Herrn umgaben, doppelt willkommen. Für einen unverbesserlichen Liebhaber des Grotesken hätte man sich keine passendere Zuflucht denken können.
Im Obergeschoß befand sich ein Raum, der nicht ganz so verwahrlost war wie das übrige Haus, und in diesen führte mich mein Gastgeber. Er stellte seine kleine Lampe hin und zündete eine etwas größere an. Die Reinlichkeit und die
Einrichtungsgegenstände des Zimmers sowie die an den Wänden aufgereihten Bücher bestärkten mich in meiner Einschätzung, daß ich es mit einem Mann von Bildung und Geschmack zu tun hatte. Er war zweifellos ein Einsiedler und ein Sonderling, aber es mangelte ihm nicht an Grundsätzen und geistigen Interessen. Nachdem wir uns gesetzt hatten, zog ich ihn in eine Unterhaltung über allgemeine Themen und stellte erfreut fest, daß er alles andere als wortkarg war. Vielmehr schien er froh darüber, jemanden zu haben, mit dem er reden konnte, und er versuchte nicht einmal, das Gespräch von den persönlichen Fragen, die ich anschnitt, in andere Bahnen zu lenken. Er war, so erfuhr ich, Antoine de Russy, Sproß einer sehr alten, mächtigen und kultivierten
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