Das Grauen lauert in der Tiefe
Gepäck«, sprang Mrs Fox geistesgegenwärtig ein und deutete auf ihre Handtasche. Ohne eine Reaktion von Mr Crimer abzuwarten, öffnete sie die Tür und schob ihre Familie ins Haus.
»Das ist wirklich unglaublich«, sagte Professor Fox und drehte an mehreren Schaltern, die neben der Eingangstür angebracht waren.
In der geräumigen Halle leuchteten verschiedene Lampen auf, ohne dass jemand Kerzen oder ein Gaslicht angezündet hatte. Der Raum war mit einer großen Truhe, die als Hutablage diente, und mit einem gewaltigen Schrank aus Eichenholz möbliert. Eine Treppe führte seitlich in den ersten Stock.
»Das ist allerdings unglaublich«, erwiderte Mrs Fox und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Manchmal frage ich mich wirklich, warum ein berühmter Professor wie du sich so trottelig benehmen muss. Was, meinst du, wäre passiert, wenn dieser Mr Crimer erfahren hätte, dass wir ordinäre Schiffbrüchige sind und nicht die Familie Spencer? Eine feine Blamage wäre das geworden!«
»Elektrisches Licht!«, rief Professor Fox, der seiner Frau gar nicht zugehört hatte. »Elektrizität! In der ganzen Stadt. Überall. Und so hell! Schaut euch das an! Man kann es einfach so an- und ausknipsen.« Er drehte wieder an den Schaltern und stand in der nächsten Sekunde mit seiner Familie im Dunkeln.
»Aua!«, beschwerte sich Max. Er war gerade auf eine Tür im angrenzenden Korridor zugelaufen und hatte sich den Kopf an einer Art Vase gestoßen, die plötzlich vor ihm aufgetaucht war.
Professor Fox schaltete das Licht schnell wieder an. »Was ist das denn?« Max riss erstaunt die Augen auf.
»Wahnsinn!«, rief Mafalda. »Endlich ein echtes Monster!«
Vor ihnen ragte ein Wesen in die Höhe, das aus einem dicken Zylinder bestand und ein bisschen so aussah wie eine übergewichtige Schaufensterpuppe. An den Seiten hatte es zwei Arme mit behandschuhten Fingern, und aus einem steifen Kragen schaute ein halsloser Kopf hervor, der Max an einen bekannten Politiker erinnerte, dessen Name ihm aber partout nicht einfallen wollte. Beine hatte die seltsame Erscheinung nicht. Stattdessen bewegte sie sich auf zwei Rädern vorwärts, die unter den massigen Körper montiert waren.
»Guten Abend«, sagte Mrs Fox, die sich als Erste vom Anblick der merkwürdigen Gestalt erholt hatte. Und da das Wesen vor ihnen einen menschlichen Kopf besaß, hielt sie es für angebracht, ihre gute Kinderstube auch in diesem Fall nicht zu vergessen.
»Guten Abend«, erwiderte die Gestalt.
Mrs Fox stellte erfreut fest, dass ihr Gegenüber feinstes Aristokraten-Englisch sprach und sich dabei fast so nasal und herablassend anhörte wie sie selbst.
»Ich bin Butler 375 und ich heiße Sie in Dunham Hall willkommen. Darf ich den Tee im Salon servieren?«
»Gibt's auch Kekse?«, wollte Mafalda wissen, die trotz des Puddings scheinbar noch Platz für ein paar Süßigkeiten in ihrem Bauch hatte.
»Nicht so vorlaut«, wies ihre Mutter sie zurecht. Und an Butler 375 gewandt, fügte sie hinzu: »Ich bitte darum. Wir hätten tatsächlich gern ein großes Teegedeck – mit Sandwiches, belgischen Waffeln und schottischen Keksen. Ist das möglich?«
»Selbstverständlich, Ma'am«, schnarrte Butler 375. Er drehte um und rollte den schmalen Flur entlang in die Richtung, in der Maxwell die Küche vermutete.
»Kann mich mal jemand kneifen?« Max schaute dem sprechenden Blechkasten fassungslos hinterher.
»Offenbar ist unser Butler so etwas wie ein elektrischer Mensch auf Rädern«, sagte Mr Fox. »Habt ihr die vielen Drähte an seinem Rücken gesehen? Durch die fließt bestimmt der elektrische Strom, der die Maschine belebt.«
»Du immer mit deinem elektrischen Strom.« Mrs Fox verdrehte die Augen. »Ich suche jetzt das Badezimmer und werde die Kinder und mich ein wenig zurechtmachen. Beim Tee können wir dann beraten, was wir als Nächstes unternehmen wollen.«
Als die Familie etwas später wieder im Salon versammelt war, hatten Max und Mafalda nassere Haare als nach dem Schiffsunglück, aber sie waren ordentlich frisiert. Max machte es sich zwischen mehreren geblümten Kissen auf dem dunkelgrünen Sofa bequem und betrachtete die Gemälde an den Wänden. Mr Hardenberg schien eine Vorliebe für Schiffe in Seenot und wilde Landschaften gehabt zu haben, in denen sich verzweifelte Wanderer vor einem Gewittersturm retten müssen. Auch die Möblierung wirkte auf Max eher deprimierend. Überall standen schwere, dunkle Anrichten herum und die tiefroten Lampenschirme sorgten
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