Das grobmaschige Netz - Roman
eine stoische Ruhe angesichts der Widerwärtigkeiten
des Lebens. Van Veeteren empfand plötzlich für diese gequälte kleine Frau eine Art ... Sympathie; das war kein Gefühl, das ihm vertraut war oder mit dem er jemals rechnete. Er schwieg eine Weile, dann sagte er:
»Aber sie ist doch wieder auf die Beine gekommen, Ihre Tochter?!«
»Sicher. Das wohl. Ich fand, ihr Mann hätte ihr ja besser helfen können, aber sie hat es geschafft, das schon.«
»Hatten Sie viel Kontakt zu Ihrer Tochter, Frau Ringmar?«
»Nein, wir haben uns nie sehr nahgestanden ... ich weiß nicht, warum, aber sie hatte ihr Leben. Sie hat bei mir keine Hilfe gesucht, nicht einmal damals, als ... ich glaube...«
Sie verstummte. Nahm sich ein Plätzchen und schien in ihrer Erinnerung zu suchen.
»Was glauben Sie, Frau Ringmar?«
»Ich glaube, sie dachte, ich hätte sie im Stich gelassen ... sie und Rolf.«
»Wieso denn?«
»Weil ich sie nicht vor Walter beschützt habe.«
»Haben Sie das denn nicht getan?«
»Ich habe es schon versucht, aber das hat vielleicht nicht gereicht. Ich weiß es nicht, Herr Kommissar ... das lässt sich so schwer sagen.«
Wieder schwiegen sie ein Weilchen. Van Veeteren wischte vorsichtig einige Krümel vom Tisch. Er hatte nur noch zwei Fragen, die Fragen, die ihn im Grunde hergeführt hatten.
»Wissen Sie, ob Eva einen neuen Mann kennen gelernt hatte. . . ich meine, vor Janek Mitter?«
Frau Ringmar schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht ... eigentlich glaube ich das nicht. Sie hat mir jedenfalls nichts erzählt... aber das war ja ohnehin nicht ihre Art. Sie hat einige Jahre in Gimsen gewohnt, war an einer katholischen Mädchenschule angestellt. Ich habe sie einmal in der Woche angerufen, aber getroffen haben wir uns nie.«
»Warum ist sie nach Maardam umgezogen?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht wegen der Stelle, ich glaube, es hat ihr nicht so recht gefallen, nur Mädchen zu unterrichten. Es war vielleicht ein wenig zu klösterlich für sie, stelle ich mir vor.«
»Ich verstehe. Und Janek Mitter, was können Sie mir über den sagen?«
»Nichts. Ich bin ihm nie begegnet ... meine Tochter hat mir auf einer Postkarte aus Griechenland mitgeteilt, dass sie geheiratet hatte.«
»Hat Sie das überrascht?«
»Ja ... ich glaube schon. Ich habe mich ja auch gefreut ... aber dann ist es so gekommen.«
Und wieder zuckte sie mit den Achseln.
Als ginge das Leben sie gar nichts an, dachte Van Veeteren. Eigentlich keine dumme Methode.
»Sie wissen also nichts über die Beziehung der beiden? Eva hat Ihnen nichts erzählt?«
»Nein. Ich glaube, ich habe seit ihrer Rückkehr aus Griechenland nur zweimal mit ihr telefoniert. Doch, übrigens ... einmal war Mitter am Apparat ... er hörte sich nett an, fand ich.«
Als er den Marktplatz erreichte, hatte der Regen wieder eingesetzt. Zwei Marktfrauen bedeckten ihre Waren mit Plastikplanen, Gemüse, ein Miniaturfischteich, einige Gläser mit selbst gemachter Marmelade vermutlich. Sie nickten ihm zu, das war aber auch alles.
Er schob die Hände in die Taschen und klappte den Kragen hoch. Blieb eine Weile neben dem Wagen stehen und wusste nicht, was er tun sollte. Es nieselte nur, die Tropfen fielen nicht zu Boden, sondern hingen einfach wie ein feuchter Schleier im Wind. Fuhren mit behutsamer und empfindlicher Hand über die niedrigen Dächer, über das bescheidene weißgetünchte
Rathaus, über den einsamen Kirchturm ... das einzige Gebäude, das aufragte und den gewaltigen Himmel herauszufordern wagte.
Sein Gespräch mit Frau Ringmar war nicht ganz so ausgefallen, wie er sich das vorgestellt hatte. Er konnte auch nicht genau sagen, was er sich vorgestellt hatte, aber etwas war da noch ...
Er ließ die Autoschlüssel los. Warf einen Blick auf die Uhr und ging dann in Richtung Meer. Wanderte über einen Pier, blieb draußen stehen und betrachtete die kabbeligen Wellen, die sich immer wieder um das Betonfundament drängten. Die Luft war eine Dreifaltigkeit aus Feuchtigkeit, Salz und Möwengeschrei. Plötzlich merkte er, dass er fror.
Etwas, dachte er. Etwas lässt mich einfach nicht los.
Dann bohrte er die Hände tiefer in die Taschen und wanderte wieder zum Ufer zurück.
15
Er hatte um Papier gebeten und einen ganzen Stapel erhalten.
Ganz oben stand ihr Name, dann folgte noch eine einzige Zeile. Mehr nicht. Eine Zeile. Die starrte er an.
Es war eine seltsame Formulierung. Er unterstrich das »wie«.
Wie fehlt sie mir nicht?
Unterstrich
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