Das grobmaschige Netz - Roman
überzogen. Es war wohl so in etwa Viertel nach vier, als ich ins Lehrerzimmer kam, wo wir auch unsere Arbeitsplätze haben. Ich war sicher, dass ich die Allerletzte sein würde, aber zu meiner
Überraschung saß Eva Ringmar an ihrem Schreibtisch. Normalerweise gehen wir nach der letzten Stunde sofort nach Hause. Nach sechs oder sieben Stunden ist man so erschöpft, dass man die Arbeit einfach nicht mehr sehen kann, man nimmt lieber das Nötige mit nach Hause und setzt sich abends noch einmal daran. Ja, so ist das bei uns ...«
»Ich verstehe. Aber an diesem Tag war Eva Ringmar noch da?«
»Ja, aber sie arbeitete nicht, sie hatte den Kopf in die Hände gestützt und schaute aus dem Fenster.«
»Haben Sie sie angesprochen?«
»Ja, ich habe sie natürlich gefragt, ob sie nicht nach Hause wollte.«
»Was hat sie geantwortet?«
»Zuerst fuhr sie zusammen, als ob sie mich noch gar nicht bemerkt hätte. Dann sagte sie, ohne mich anzusehen... sie starrte nur aus dem Fenster... sie habe Angst.«
»Angst?«
»Ja.«
»Können Sie sich an den genauen Wortlaut erinnern?«
»Natürlich. Sie sagte: Ach, Sie sind’s nur, Frau Traut. Wie gut. Ich habe heute solche Angst, verstehen Sie?«
»Sind Sie sicher, dass sie genau das gesagt hat?«
»Ja.«
»Haben Sie etwas dazu gesagt?«
»Ja, ich fragte, ob sie Angst davor hätte, nach Hause zu fahren.«
»Und wie lautete die Antwort?«
»Es gab keine. Sie sagte nur: Ach, so nicht. Dann nahm sie ihre Tasche und ging.«
»Frau Traut, was haben Sie aus dieser Bemerkung für einen Schluss gezogen? Was war Ihr erster Eindruck?«
»Ich weiß nicht ... vielleicht, dass sie sich eher resigniert angehört hatte als ängstlich.«
»Wäre es möglich, dass sie jemand anderen erwartet hatte und nicht Sie? Ihre Formulierung scheint das doch anzudeuten.«
»Ja, ich glaube, das stimmt.«
»Sie haben das so verstanden, dass Frau Ringmar froh war, weil Sie gekommen sind und nicht irgendein Kollege.«
»Ja, so kam mir das vor.«
»Wer hätte das denn sein können?«
»Gibt es da mehr als nur eine Möglichkeit?«
»Sie meinen den Angeklagten?«
»Ja.«
Erst jetzt legte Rüger Einspruch ein.
»Ich beantrage, die letzte Frage und die darauf folgende Antwort aus dem Protokoll zu streichen. Die Anklage versucht, die Zeugin zu manipulieren. Über Dinge zu spekulieren, von denen sie keine Ahnung hat!«
»Einspruch abgelehnt«, sagte Havel. »Aber die Geschworenen werden berücksichtigen, dass die Zeugin in diesem Fall nicht belegbare Schlussfolgerungen gezogen hat. Haben Sie noch weitere Fragen an die Zeugin, Herr Staatsanwalt?«
»Noch zwei, Euer Ehren. Ist Ihnen bekannt, Frau Traut, ob Eva Ringmar zu einem der männlichen Kollegen, außer zu Herrn Mitter natürlich, irgendeine nichtberufliche Beziehung unterhielt?«
»Nein.«
»Haben Sie je einen anderen Mann zusammen mit Frau Ringmar gesehen, oder haben Sie während der beiden Jahre, in denen sie an Ihrer Schule gearbeitet hat, von einem gehört?«
»Nein.«
»Danke, Frau Traut. Euer Ehren, keine weiteren Fragen.«
Rüger machte sich nicht einmal die Mühe aufzustehen.
»Frau Traut, wissen Sie überhaupt irgendetwas über Eva Ringmars Privatleben?«
»Nein, ich hatte keine ...«
»Danke. Wissen Sie etwas über die Beziehung zwischen Ringmar und Mitter?«
»Nein.«
»Wenn es in Eva Ringmars Leben einen anderen Mann gegeben hätte, hätte dann überhaupt die Möglichkeit bestanden, dass Sie davon gewusst hätten?«
»Nein.«
»Danke, das ist alles.«
»Vollständiger Name und Beruf?«
»Beate Kristine Lingen. Ich arbeite als Kosmetikerin am Mètre-Institut in Krowitz, ich wohne aber in Maardam.«
»In welcher Beziehung standen Sie zu Eva Ringmar?«
»Ich war wohl ihre Freundin, das würde ich schon sagen, aber wir haben uns nicht sehr oft gesehen.«
»Wie haben Sie Eva Ringmar kennen gelernt?«
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen... in Mühlboden. Haben zusammen Abitur gemacht. Und danach sind wir zunächst in Kontakt geblieben.«
»Und später?«
»Haben wir den Kontakt verloren. Wir sind in andere Orte gezogen ... haben geheiratet und so weiter...«
»Sind Sie im Moment verheiratet?«
»Nein, ich bin seit fünf Jahren geschieden.«
»Ich verstehe. Wann haben Sie Eva Ringmar dann wiedergesehen?«
»Als sie hergezogen war. Vor ungefähr zwei Jahren. Wir sind uns auf der Straße begegnet und haben uns dann verabredet. Ja, so hat das angefangen, aber wir haben uns nicht sehr oft gesehen.«
»Wie
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