Das grobmaschige Netz - Roman
wohl nicht besonders lang werden.«
Münster seufzte und fuhr schneller. Der Hauptkommissar versank in Grübeleien. Auf der Höhe der Keymerkirche zog er ein Zigarillo aus der Tasche und lugte zu Münster hinüber. Eigentlich war er kein Raucher, aber er wusste, dass der stinkende
Rauch dieser schwarzen Schönheit der Kondition seines Gegners eher schadete als seiner eigenen. Vor allem, wenn er keine Lungenzüge machte. Auf diese Weise wurde das Zigarillo zu einem wichtigen Teil der psychischen Vorbereitung auf die Partie.
Münster bremste vor Van Veeterens Haus. Der legte das qualmende Zigarillo vorsichtig in den Aschenbecher und stieg aus dem Auto.
»Du kannst hier warten. Ich bin in fünf Minuten wieder da.«
Münster schaltete den Motor aus und kurbelte das Fenster herunter. Er schaute zu, wie der Hauptkommissar die Treppe hochlief.
In zehn Jahren geht der Alte in Pension, dachte er. In zehn Jahren. Wie lange man wohl Badminton spielen kann?
Er dachte daran, dass er Greise von über siebzig in der Sporthalle hatte herumtoben sehen ... und sofort dachte er lieber an etwas anderes.
An Synn, zum Beispiel. Seine schöne Frau, die gerne mit ihm und den Kindern in diesem Jahr einen richtigen Winterurlaub machen würde. Ja, zwei Wochen im Dezember, wenn die Preise nicht so hoch waren, das hatte sie sich überlegt, wenn er sie richtig verstanden hatte. Auf irgendeiner Insel weit weg in einem blauen Meer, mit rauschenden Palmen und einer Bar am Strand ...
Und er fragte sich, wie er Hiller diesen Plan schonend beibringen könnte. Er hatte zwar jede Menge Überstunden abzustottern, aber zwei Wochen?
»Zwei Wochen?«, würde Hiller aufkeuchen und ein Gesicht machen, als habe Münster ihn aufgefordert, nackt für die Polizeizeitschrift zu posieren. Zwei Wochen!
Und nun musste er schon wieder während der Arbeitszeit Badminton spielen.
19
Irgendwer hatte einen Pastor zu ihm geschickt.
Wer, wusste er nicht. Rüger oder der Polizeichef oder dieser senile Richter, schwer zu sagen. Vielleicht kam der Pfaffe ja auch auf eigene Faust, er behauptete schließlich, ein Bindeglied sei gar nicht nötig, um mit Gott Zwiesprache zu halten.
Er hatte ein wässriges Lächeln. Musste sich immer wieder die Augen wischen, machte die trockene Luft und die Belüftungsanlage dafür verantwortlich.
»Ich höre gern der Belüftungsanlage zu«, sagte Mitter. »Ich glaube, sie könnte die Stimme Gottes sein.«
Der Pastor nickte interessiert.
»Ach?«
»Sie kennen die Stimme Gottes doch sicher?«
»Ja...«
»Sie ist ziemlich monoton, finden Sie nicht?«
»Die Stimme Gottes klingt sicher für jedes Ohr anders.«
»Was ist denn das für ein Scheißrelativismus?«, fragte Mitter.
»Ach ... ich wollte doch nur ...«
»Wollen Sie etwa behaupten, der Herr sei nur eine phänomenologische Angelegenheit? Zeigen Sie mir doch bitte Ihren Ausweis!««
Der Pastor lächelte milde. Aber eine skeptische Furche fasste auf seiner blanken Stirn Fuß.
»Wenn Sie hier nicht den ontologischen Gottesbeweis vorführen können, dann lasse ich Sie auf der Stelle hinauswerfen.«
Der Pastor wischte sich die Augen.
»Ich sollte vielleicht ein andermal wiederkommen. Ich sehe ja, dass ich Sie verärgere.«
Mitter klingelte nach dem Wärter, und zwei Minuten später war er wieder allein.
Ihm wurde auch eine Sozialarbeiterin geschickt.
Es war eine Frau von Mitte dreißig, und der Wärter blieb die ganze Zeit vor der Tür stehen.
»Sind Sie Dänin?«, fragte Mitter.
Sie hatte blonde Haare und einen langen Hals, deshalb war seine Frage nicht unberechtigt. Die Frau schüttelte den Kopf.
»Ich heiße Diotima«, sagte sie. »Darf ich mich wohl ein bisschen mit Ihnen unterhalten?«
»Das ist ein schöner und ungewöhnlicher Name«, sagte Mitter. »Bleiben Sie, so lange Sie wollen.«
»Für Sie ist eine psychiatrische Untersuchung beantragt worden«, sagte Diotima nun. »Egal, wie das Urteil ausfällt.«
»Ich bin sehr dankbar«, sagte Mitter. »Ich hatte wirklich nicht vor, gleich wieder den Unterricht aufzunehmen.«
Diotima nickte. Sie hatte einen Pferdeschwanz, der bei jeder Kopfbewegung kurz hin und her schwang. Mitter hätte ihr gern eine Hand in den Nacken gelegt, fühlte sich aber nicht sauber genug. Diotima hatte eine unverkennbare Frische; er versteckte seine Hände zwischen den Knien und versuchte, an etwas anderes zu denken.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie.
Er dachte nach, ihm fiel aber keine Antwort ein.
»Es war eine ziemliche
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