Das grobmaschige Netz - Roman
ist nicht so leicht, das am Telefon zu erklären.«
»Sie hatte ein Geheimnis?«
»So könnte man das sagen.«
»Einen Mann?«
»Keine Ahnung, Kommissar. Keine Ahnung.«
»Geben Sie mir doch einen Anhaltspunkt.«
»Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, das versichere ich Ihnen.«
»Worüber, zum Henker, haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Über Willie ... ihren Sohn. Ja, wir haben fast nur über Willie gesprochen. Sie brauchte mich, um sich an ihn zu erinnern. Ich habe selber einen Sohn, sie waren gleich alt, sie verglich die beiden so gern ... oft haben wir so getan, als ob Willie noch lebte, wir haben über unsere Söhne gesprochen und über deren Zukunft ... und über ähnliche Dinge.«
»Aha ... und später ging es ihr dann besser?«
»Sicher. Unsere Treffen in Maardam waren therapeutisch gesehen gar nicht mehr nötig, aber sie war so beharrlich ... ich mochte sie gern, und das Geld konnte ich auch brauchen. Warum hätte ich mich weigern sollen?«
»Ja, warum, Herr Caen? Was für einen Eindruck hatten Sie von ihrem Mann... von Andreas Berger?«
»Wir haben uns nie kennen gelernt, und sie hat nicht viel über ihn erzählt. Sie wollte sich scheiden lassen... der Unfall war daran schuld, zweifellos, aber fragen Sie mich nicht, warum. Ich glaube, er wollte sie behalten, sogar als sie ihre schlechteste Phase hatte.«
Van Veeteren dachte nach.
»Ich dachte, Sie hätten einen Verdächtigen?«, fragte Caen.
»Ja, und der ist auch schon verurteilt worden«, sagte Van Veeteren.
»Schon verurteilt? Hat er denn gestanden? Aber warum rufen Sie mich dann noch...«
»Weil er es nicht war«, unterbrach ihn Van Veeteren. »Darf ich Sie um eines bitten?«
»Sicher.«
»Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, egal wie unwichtig das vielleicht sein mag, dann rufen Sie mich bitte an. Sie haben doch meine Nummer?«
»Nein, ich glaube nicht ...«
»Aber unser Fax haben Sie doch erhalten?«
»Ihr Fax? Nein, ich habe das Faxgerät seit einer Woche nicht mehr angeschaut. Ich habe Urlaub, verstehen Sie?«
»Urlaub, im November?«
»Ja, hier unten ist jetzt Frühsommer. 25 Grad, die Zitronenbäume blühen...«
»Das hätte ich mir ja denken können«, sagte Van Veeteren.
21
Als Lotte Kretschmer am Sonntag, dem 17. November, aufwachte, beschloss sie fast augenblicklich, mit ihrem Freund, dem einundzwanzigjährigen Elektriker Frank Weigand, Schluss zu machen. Dieser Beschluss war während der letzten Wochen in ihr herangereift, und nun war es so weit. Weigand schlief wie immer mit offenem Mund neben ihr, und da sie ihn in einer so wichtigen Angelegenheit nicht im Ungewissen lassen wollte, schüttelte sie ihn wach und erklärte ihm die Lage.
Sie waren zwar seit acht Monaten zusammen, aber dass Streit, Tränen und Anklagen den ganzen Tag in Anspruch nehmen würden, damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
Als sie gegen sieben Uhr abends endlich zur Arbeit gehen konnte, merkte sie, dass sie jetzt zwölf Stunden Schlaf gebrauchen könnte.
Stattdessen lagen zwölf Stunden Nachtwache vor ihr.
Als gegen einundzwanzig Uhr die Nachtmedikamente verabreicht wurden, bekam Janek Mitter, wie auch etliche andere Patienten, statt der üblichen leicht beruhigenden Antidepressiva zwei Stück Multivitamintabletten mit zehn wichtigen Mineralien plus Selen.
Bei beiden Präparaten handelte es sich um blassgelbe runde Dragees, und sie wurden im selben Schrank aufbewahrt.
Die Wirkung blieb nicht aus. Statt tief und traumlos zu schlafen, lag Mitter verdutzt und hellwach in seinem Stahlrohrbett
und schaute durch das Fenster zum Sternenhimmel hoch, der fast so reich bestückt war wie in jener Nacht auf Levkás. Ihm fiel ein, dass man im November besonders viele Sterne sieht und dass sein Geburtstag schon vorbei war. Zu seinem vierzehnten Geburtstag hatte er von seinem Vater ein Teleskop bekommen.
Wo das jetzt stecken mochte?
Er brauchte eine Weile, bis er wieder klar denken konnte. Aber dann wusste er es wieder. Bei Jürg natürlich. Jürg hatte es, solange er bei ihm wohnte, auf seinem Zimmer gehabt und es dann bei seinem Umzug nach Chadow mitgenommen.
So war das, und seine Erinnerung funktionierte offenbar noch immer.
Auch andere Erinnerungsfetzen tauchten auf und verschwanden wieder, als er so dalag; lange zurückliegende Dinge, Kindheitserinnerungen und Jugendsünden, Erinnerungen aus späteren Zeiten ... Irene und die Kinder, Schulgeschichten und Reisen mit Bendiksen, und gegen Morgen dann tauchte endlich auch jene Nacht
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