Das grobmaschige Netz - Roman
Belastung...«
Sie senkte die Stimme, und deshalb konnte er nicht entscheiden, ob das eine Frage oder eine Behauptung sein sollte. Und ob diese Bemerkung sich auf ihn oder auf seine Besucherin bezog.
»Hier kann man schließlich nicht gesund werden«, sagte sie.
Er lächelte kurz.
»Wissen Sie, wie lange Sie schon hier sind?«
Er nickte.
»Was ist denn heute für ein Tag?«
»Mittwoch.«
»Ja, heute Nachmittag fällt man Ihr Urteil. Warum wollen Sie nicht dabei sein?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Möchten Sie eine Zigarette?«
»Gerne.«
Sie zog eine Packung aus ihrer Aktentasche. Legte sie zwischen sich und Mitter auf den Tisch. Er befreite seine rechte Hand. Nahm sich eine Zigarette und steckte sie an. Es war ein mildes Mentholteil, typischer Frauentabak, aber er rauchte die Zigarette trotzdem dankbar bis zum Filter.
Auf irgendeine Weise erforderte es größere Konzentration, gerade eine solche Zigarette zu rauchen, und er war sich nicht sicher, was Diotima derweil für Fragen gestellt hatte. Auf jeden Fall gab er keine Antwort.
Als er die Zigarette im Waschbecken ausdrückte, erhob Diotima sich, und ihm ging auf, dass sie gehen wollte. Sofort spürte er einen Kloß im Hals; der Wunsch zu weinen mischte sich höchst unschön mit dem faden Geschmack von kaltem Rauch. Vielleicht merkte sie das, jedenfalls kam sie zwei Schritte auf ihn zu und legte ihm kurz die Hand auf den Arm.
»Ich komme wieder«, sagte sie. »Und auf jeden Fall werden Sie nicht mehr lange hier sitzen.«
»Janek«, sagte er. »Ich heiße Janek. Bitte, sagen Sie nicht Sie zu mir.«
»Danke. Diotima.«
»Ich weiß, das haben Sie schon gesagt.«
Sie lächelte. Ihre Zähne waren ganz gleichmäßig und weiß. Er seufzte.
»Sind Sie ganz bestimmt keine Dänin?«
»Meine Großmutter war aus Kopenhagen.«
»Ich hab’s ja gleich gewusst.«
»Bis bald, Janek.«
»Bis bald, Diotima.«
Rüger brachte eine Stunde nach dem Mittagessen das Urteil. Er sah noch zusammengesunkener aus als sonst und putzte sich zweimal die Nase, ehe er den Mund aufmachte.
»Es hat nicht geklappt«, sagte er.
»Ach«, sagte Mitter. »Es hat nicht geklappt.«
»Nein. Aber sie haben auf Totschlag befunden. Die Jury hat einstimmig entschieden. Sechs Jahre.«
»Sechs Jahre?«
»Ja. Bei guter Führung kommen Sie mit fünf davon.«
»Da hätte ich nichts gegen«, sagte Mitter.
Rüger wartete noch eine Weile.
»Sie müssen sich noch einer kleinen psychiatrischen Untersuchung unterziehen«, sagte er endlich. »Leider geht es dabei nur um Ihren derzeitigen Zustand. Vielleicht hätten wir es auf einer anderen Schiene versuchen sollen, aber auf jeden Fall glauben alle, dass Sie im Augenblick der Tat zurechnungsfähig waren.«
»So so«, sagte Mitter. Er wurde jetzt wirklich müde. »Bitte, fassen Sie sich kurz, ich glaube, ich muss bald schlafen.«
»Wenn man Sie für geistig zurechnungsfähig hält, kommen Sie ins Staatsgefängnis. Wenn nicht, nach Greif oder in die Majoren.«
»In die Majoren?«
»Ja, in Willemsburg. Kennen Sie das Haus nicht? Eine alte Anstalt aus dem 19. Jahrhundert. Vielleicht wäre Greif noch vorzuziehen ...«
»Ach, ich glaube, mir ist das egal.«
»Wenn sich Ihr Zustand in der Zwischenzeit bessert, werden Sie sofort ins Gefängnis verlegt, aber die Zeit in der Anstalt wird Ihnen angerechnet... ja, das ist die Lage. Sind Sie müde?«
Mitter nickte.
»Sie werden morgen von hier fortgebracht. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall eine gute Nachtruhe.«
Er streckte die Hand aus. Mitter griff danach.
»Es tut mir leid, dass wir solches Pech gehabt haben. Aufrichtig leid.«
»Das macht nichts«, sagte Mitter. »Bitte, lassen Sie mich jetzt allein. Wir können uns sicher ein andermal weiter unterhalten.«
»Sicher«, sagte Rüger und putzte sich ein letztes Mal die Nase. »Leben Sie wohl, und viel Glück für morgen, Herr Mitter.«
»Leben Sie wohl.«
Was für eine Quasselstrippe, dachte er, als sich die Tür hinter dem Anwalt schloss. Ich darf nicht vergessen, ihn in Zukunft in seine Schranken zu verweisen.
20
»Und was ist bei der Sache herausgekommen?«, fragte Münster.
Van Veeteren schnaubte.
»Die Majoren. Hat Caen noch nicht geantwortet?«
»Nein, aber wir haben noch genug anderes zu tun.«
»Echt? Was denn zum Beispiel?«
»Für den Anfang schon einmal das hier«, sagte Münster und schob ihm die Zeitung hin.
Der Fall der farbigen Dirne, die im eleganten Vorort Dikken gekreuzigt aufgefunden worden war, sollte
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