Das grobmaschige Netz - Roman
der Deckenlampe. Der Glatzkopf war noch einmal aufgetaucht und hatte eine Kerze angezündet, um seine Dienstwilligkeit unter Beweis zu stellen, ansonsten verkroch er sich in einer dunklen Ecke und wartete wie Van Veeteren auf Ulrike de Maas.
Diese traf um kurz nach drei ein, genau wie sie es versprochen hatte. Eine schlanke, dunkle Frau in Dufflecoat und rostrotem Schal. Sie arbeitete bis drei Uhr im Museum, das auf der anderen Seite des Platzes lag, und die Lichter zu löschen und die Türen abzuschließen dauerte ja schließlich nicht lange ... Van Veeteren nahm an, dass das Museum ungefähr so gut besucht war wie das Poseidon; es war Sonntag, noch dazu der erste Advent, die Leute hatten wohl etwas anderes zu tun, als im Heimatmuseum oder im Restaurant herumzuhängen.
»Kommissar Veeteren?«
»Van Veeteren ... bitte, nehmen Sie Platz. Sie sind Ulrike de Maas?«
Sie nickte und hängte ihren Mantel über die Stuhllehne.
»Sie müssen entschuldigen, dass ich Sie lieber hier treffen wollte als bei mir zu Hause, aber da ist es im Moment ein
bisschen hektisch ... und Sie wollten sich ja in aller Ruhe mit mir unterhalten, haben Sie gesagt!«
Sie lächelte zaghaft.
»Ich könnte mir keinen besseren Treffpunkt vorstellen«, sagte Van Veeteren. »Was darf ich für Sie bestellen?«
Der Glatzkopf war aus dem Dunkel aufgetaucht.
»Wollen wir etwas essen?«, fragte Ulrike de Maas zögernd.
»Gerne«, sagte Van Veeteren. »Ich war zwei Stunden mit dem Auto unterwegs, und nachher stehen mir noch zwei Stunden Fahrzeit bevor. Ein Eintopf in der winterlichen Dunkelheit ist das Mindeste, was ich verlange. Nehmen Sie, was Sie wollen. . . der Staat bezahlt.«
Sie lächelte wieder, diesmal etwas kräftiger. Zog ein Band aus ihren Haaren und ließ eine kastanienbraune Wolke frei. Van Veeteren erinnerte sich daran, dass er ein alter Bulle war, dem nur noch zehn Jahre bis zur Pension fehlten.
Sie steckte sich eine Zigarette an.
»Wissen Sie, Herr Kommissar, als ich über ihren Tod gelesen habe, war das so ... ja, nicht, dass ich es erwartet hätte, aber ich war jedenfalls nicht geschockt oder entsetzt ... oder was man sonst sein sollte. Ist das nicht seltsam?«
»Vielleicht. Können Sie das genauer erklären?«
Sie zögerte ein wenig.
»Eva ... sie war irgendwie so ein Mensch ... lebte gefährlich. . . na ja, das ist vielleicht übertrieben, aber sie hatte schon etwas... Dramatisches.«
»Sie haben sie gut gekannt?«
»Sehr gut sogar. Damals, meine ich. Später sind wir uns nie wieder begegnet. Wir waren sechs Jahre in derselben Klasse ... die letzten drei in Leuwen und dann die drei Oberstufenjahre in Mühlboden. Vor allem in Mühlboden waren wir viel zusammen, wir waren vier oder fünf... ja, eine Clique, so könnte man das wohl sagen.«
»Mädchen?«
»Ja. Meistens waren nur zwei oder drei dabei, wenn wir etwas unternehmen wollten ... die anderen waren dann mit Jungs beschäftigt ... aber das änderte sich ständig.«
»Ich verstehe. Hatte Eva damals viele verschiedene Freunde?«
»Nein, sie war wohl die Vorsichtigste von uns ... ja, wirklich, das war sie, aber ...«
»Ja?«
»Sie war auch so verletzlich. Das klingt komisch: Sie war stark und zerbrechlich zugleich, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Nicht ganz«, gab Van Veeteren zu.
»In der Oberstufe hat sie sich ziemlich verändert ... während unserer Schulzeit in Leuwen habe ich sie kaum gekannt. Sie und ihr Bruder Rolf ... sie waren Zwillinge ... steckten immer zusammen. Ihr Vater ist damals irgendwann gestorben, ich glaube, das war gut für sie ... er hat getrunken. Es würde mich nicht wundern, wenn er sie auch geschlagen hätte ... und ihre Mutter auch.«
»In welcher Hinsicht hat Eva sich in der Oberstufe verändert?«
»Sie wurde ... offener. Hat sich neue Freundinnen zugelegt ... fing an zu leben.«
»Und das lag am Tod ihres Vaters?«
»Ja, das glaube ich. Ihre Bindung zu Rolf lockerte sich, sie hatten sich wohl zum gegenseitigen Schutz vor ihrem Vater gebraucht.«
»Rolf ist später weggegangen, war das nicht so?«
»Ja, zuerst war er auch auf dem Gymnasium, in unserer Parallelklasse, aber dann ist er von der Schule abgegangen, er wollte zur See ... ich glaube, er ist dann später in Amerika gelandet.«
Van Veeteren nickte.
»Fallen Ihnen die Namen irgendwelcher Jungen ein, mit denen Eva zusammen war?«
»Ja ... darüber habe ich mir seit Ihrem Anruf den Kopf zerbrochen, aber die Einzigen, die mir
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