Das größere Wunder: Roman
Gefallen um den anderen. Ich meine das ernst. Erstens stehe ich in Ihrer Schuld, solange ich lebe. Zweitens bereiten mir Ihre Aufträge im Gegensatz zu denen meiner anderen Klienten großes Vergnügen. Ich habe zum Beispiel bereits einen alten Bahnhof in der Nähe Ihres Heimatortes gefunden, und der Güterwaggon gehört so gut wie Ihnen.«
»Vielen Dank. Was ich diesmal von Ihnen brauche, ist aber noch eine Nummer größer.«
Tanaka strahlte. »Es freut mich sehr, das zu hören. Worum handelt es sich?«
»Kennen Sie jemanden, der ein Segelschiff bauen kann?«
»Es wird nicht schwierig sein, eine solche Person ausfindig zu machen.«
»Ganz so einfach ist die Sache nicht. Ich suche jemanden, der mir eine historische Drei-, Vier- oder gar Fünfmastbark baut, das ist ein sehr mächtiges Schiff. Ich brauche eine vertrauenswürdige Besatzung, und dann brauche ich noch eine Insel.«
»Eine Insel?«
»Eine Insel.«
»Wo soll sie liegen?«
»Mir egal, es soll bloß das ganze Jahr über warm sein. Und das nächste Stück Land muss mindestens fünfzig Kilometer entfernt liegen. Hundert wären besser.«
»So gut wie erledigt«, sagte Tanaka. »Wollen Sie nicht zugreifen?«
»Nein, danke. Manchmal sind Sie mir unheimlich.«
Tanaka goss Jonas Sake nach und überlegte eine Weile.
»Ich nehme an, Sie werden die Pläne sehen wollen, ehe das Schiff gebaut wird?«
»Nein, das überlasse ich ganz Ihnen.«
»Ich verstehe nichts von Segelschiffen.«
»Das werden Sie bestimmt schnell nachholen.«
»Auch richtig. Man soll Sie als Besitzer nicht zurückverfolgen können?«
»Ganz genau.«
»Wir werden eine gemeinsame Firma gründen, über die der Auftrag abgewickelt wird. Wie groß soll die Insel sein?«
»Groß genug, um so ein Schiff dort zu verstecken, und ansonsten unbewohnt. Die Mannschaft wird bei Bedarf hingebracht. Ich will dieses Schiff haben. Ich brauche es.«
»Mir müssen Sie gar nichts erklären. Ich kümmere mich nur um Ihre Wünsche.«
Jahre später konnte er sich noch an den Geruch erinnern, der an diesem Tag in der Luft lag. Er fand nie heraus, woher dieser strenge, saure Geruch rührte, es war, als hätte jemand Zitronenlimonade zerstäubt. Es roch seltsam, und es war laut. Ein Autofahrer, dessen Garage blockiert war, hupte wie verrückt, nicht weit entfernt heulte eine Polizeisirene, und von einer nahen Baustelle drang das Getöse von Maschinen.
Jonas wartete an der Bushaltestelle, neben ihm stand ein Junge aus der Nachbarschaft, dessen Namen er nicht wusste, mit dem er sich aber schon einige Male unterhalten hatte.
»Wenn dir eine Fee erschiene und drei Wünsche erfüllen würde, was würdest du wählen?« fragte ihn Jonas.
Der Junge dachte nicht lange nach. »Mehr Wünsche.«
»Gilt nicht.«
»Dann eine Stereoanlage, ein neues Fahrrad, einen Internetanschluss und eine Reise nach New York.«
»Das sind aber vier Wünsche.«
»Na, vielleicht verzählt sie sich ja.«
Jonas griff in die Tasche, um sich die Adresse des Jungen aufzuschreiben, und stellte dabei fest, dass er sein Handy zu Hause vergessen hatte.
»Warte mal kurz«, sagte er und lief los.
Er wohnte nur zwei Häuser von der Haltestelle entfernt. Als er mit dem Telefon wiederkam, war der Bus jedoch schon da und der Junge eingestiegen. Jonas schaffte es nicht mehr rechtzeitig, und ihm blieb nur mehr, dem Jungen hinterherzuwinken, der sich in die letzte Reihe gesetzt hatte und ihm zurückwinkte.
In dem Moment, als die Bombe den Schulbus zerriss, schien es auch den winkenden Jungen zu zerreißen. Die Druckwelle fegte Jonas zu Boden, doch er sah jedes Detail, er sah die Körperteile fliegen, er sah das Feuer, er hörte die Schreie der Kinder, er fühlte aber nichts von der Hitze der Explosion und des Feuers auf seinem Gesicht, er fühlte die Glassplitter nicht, die auf ihn einprasselten, er fühlte nur das Böse, das irgendwo da vorne stand, er fühlte jenes Etwas, das keine Vergebung und kein Mitgefühl kennt.
An diesem Tag begegnete er zum ersten Mal Shimon, der in seiner gelben Weste in der Nähe des Busses nach Körperteilen suchte. Shimon gehörte zur ZAKA, und an einem Anschlagsort auch noch die kleinsten Hautreste und den letzten Blutstropfen der Opfer vom Boden aufzusammeln betrachtete er als seine religiöse Pflicht.
Ihn und seine Frau Abigajil, die zwar orthodoxe Juden waren, aber keineswegs rückwärtsgewandt, lernte Jonas bald besser kennen. Allerdings sah er sie meistens außerhalb von Jerusalem. Dorthin kehrte er
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