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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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du?«
    »Jonas, ich schwöre dir bei der Seele unserer lieben Freunde, dass ich nichts mit irgendeinem Krankenzimmer oder irgendeinem deiner dämlichen Schlüssel zu tun habe! Wehe, du hast das Getriebe ruiniert.«
     
    Er bezahlte Mila den Wagen. Er wusste, zwischen ihnen war es vorbei. Wieso, wusste er nicht. Tanaka vermittelte ihm ein Sanatorium auf den Philippinen, das nicht wie ein solches aussah und wo er eine Entgiftungskur machte. Danach zog er nach Jerusalem und ließ fortan die Finger von Drogen.
    Was du suchst, dachte er, ist schon in dir. Du brauchst nicht mehr versuchen, es dir zuzuführen.
     
    Einmal kam ihn Tanaka besuchen. Sie gingen essen und redeten vor allem über Jonas’ Kinderhilfswerk, bei dem es zu finanziellen Unregelmäßigkeiten gekommen war, für die sich ein Sekretär vor Ort als verantwortlich herausgestellt hatte. Tanaka bestand darauf, Jonas die Summe zu ersetzen, Jonas hingegen weigerte sich, das Angebot anzunehmen. Sie waren noch zu keiner Übereinkunft gekommen, als Jonas sagte:
    »Ich hätte vielleicht ein heikles Anliegen.«
    »Ah! Das klingt interessant.«
    »Könnten Sie in Erfahrung bringen, wer mein Großvater war? Wer er wirklich war?«
    »Ja«, sagte Tanaka nach einigem Zögern.
    »Könnten Sie in Erfahrung bringen, woher sein Vermögen stammt?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    Jonas überlegte einige Minuten.
    »Sie wissen es schon, nicht wahr?«
    Tanaka nickte.
    »Wollen Sie mir etwas darüber sagen?«
    »Woher das Geld stammt, ist heute nicht mehr wichtig. Tun Sie damit das Richtige, das ist wichtig.«
     
    Loslassen. Über der Welt sein. Auf dem Wind reiten, fern von allem, was irdisch ist. Ungemütliche Orte besuchen, um zurückzukehren, zu den Betten und den Duschen, zur Bequemlichkeit, zum Schlaf. Ein Zug macht viele einzelne Geräusche.
     
    Die Monate um den Jahrtausendwechsel verbrachte Jonas meistens in Jerusalem. Nirgendwo auf der Welt hatte er mehr Verrückte gesehen, die von dieser Stadt wohl schon immer angezogen wurden. Jetzt jedoch, kurz vor Beginn des Heiligen Jahres, traf er Menschen, die sich für Jesus hielten, Menschen, die Verwünschungen gegen bestimmte Farben aussprachen, Junkies, die sich Heilung erhofften, mehrere Inkarnationen der Jungfrau Maria, von denen eine ein Mann war, Sänger, die nicht singen konnten und es an der Grabeskirche über Nacht zu lernen glaubten, Bettlerinnen, die ohne Telefon mit Gott telefonierten, sowie einen Mann, der sowohl seinem Sohn als auch seinem Frettchen einen Maßanzug hatte schneidern lassen und die beiden zu seinem Frühstückskaffee im Tmol-Shilshom mitnahm, wo sie allerdings vor der Tür warten mussten.
    Nur einmal verließ Jonas die Stadt. Er flog nach Rom, spazierte wieder zu seiner alten Wohnung, dachte an früher. Er fuhr bei der Maklerin vorbei, die sie ihm damals vermietet hatte. Die Frau arbeitete nicht mehr für das Büro, doch ihre Nachfolgerin eröffnete ihm, die Wohnung stünde seit fast zehn Jahren leer.
    Kaum hatte Jonas das Haus verlassen, rief er Tanaka an und bat ihn, den Kauf für ihn abzuwickeln.
    »Ich hatte mich schon gefragt, wann es soweit sein würde.«
    »Sie wissen, welche Wohnung das ist?«
    »Ich weiß, welche Wohnung das ist«, sagte Tanaka und legte auf.
     
    Jonas interessierte sich nicht für gehobene Küche wie zum Beispiel Tic, die ihr Geld vor allem für Essen in Luxusrestaurants ausgab, oder wie Mila, die es in edle Weine investierte. Eine Ausnahme gab es jedoch. Jedes Mal, wenn er zu Mittag bei Salvo einen kleinen Teller Antipasti und ein Glas Hauswein serviert bekam, obwohl er nur einen Espresso haben wollte, blieb er bis zur Sperrstunde und aß und trank, bis ihn Salvo irgendwann aus dem Lokal zog und auf den Campo de’ Fiori führte.
    Eines Abends gewann er gegen den Wirt eine Wette und durfte sich über Nacht im Delikatessenladen einschließen lassen. Davor und am nächsten Morgen wurde er gewogen, zudem wurde sein Alkoholwert gemessen. Er bezahlte je Promille und pro Gramm Gewichtszunahme. Die ganze Nachte hörte er bei heruntergelassenen Rollbalken Musik, schrieb SMS an Freunde – sogar Zach hatte inzwischen ein Handy –, verfolgte durch ein Guckloch die Schlacht zweier Hooligangruppen, und ab zwei Uhr früh wurde er melancholisch und dachte an Mike, an Werner, an Picco. Daran, wie sehr sie ihm fehlten, und daran, wie sehr ihm alles von damals fehlte, die Leichtigkeit, die Wunschlosigkeit, die Ausblicklosigkeit. Das Kindsein.
    Am Flughafen schrieb er

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