Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic

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gelben Brett, und mit einem Mal strahlte sie eine unerreichbare Größe aus.
    Werner war ein Genie gewesen, Anouk hatte recht gehabt, und Werner hatte recht gehabt, Anouk war einzigartig.
    Er sah die Angst in ihrem Gesicht und wunderte sich, ehe er erkannte, dass sie sich nicht um sich selbst sorgte. Im nächsten Moment geriet er unter die Walze der gigantischen Welle. Er wurde ganz nach unten gespült, in die totale Dunkelheit, wo ihn der Sog der Strömung unentrinnbar festhielt und seine Ohren zu explodieren schienen. Seine Lungen brannten, er wusste, er würde jeden Moment nach Luft schnappen, und dann wäre es vorbei.
    Er hatte einen Fehler gemacht. Oder mehrere. Keine Auftriebsweste zu verwenden war mit Sicherheit einer gewesen.
    Er merkte, wie sich sein Organismus Zentimeter für Zentimeter, Organ für Organ abzuschalten begann. Aus irgendeinem Grund hatte genau dies für ihn die Erkenntnis zur Folge, in eine Art metaphysische Falle getappt zu sein. Er war hier, er, den Jonas so verabscheute, und was immer auf der Welt geschah, er durfte Jonas nicht kriegen. Und er würde ihn auch nicht kriegen, weder heute noch an einem anderen Tag, das stand fest.
    Er lächelte, tief unten im Bauch der Welle.
    Irgendwie wurde es wieder hell. Er hatte nur eine Sekunde über Wasser, dann zog ihn die Welle erneut nach unten, doch diese eine Sekunde nützte er, er holte genug Luft, um die eineinhalb oder zwei Minuten, die sie ihn behielt, ehe sie ihn endlich ausspie, zu überleben. Dass sie ihn dabei über das Riff zog und ihm Korallen und Felsen die Beine zerschnitten, merkte er nicht einmal.
    Mittlerweile hielt Anouk auf einem Jetski zwischen den Bojen nach ihm Ausschau. Als sie Jonas an der Oberfläche des Weißwassers treiben sah, raste sie trotz der heranbrausenden Wellen auf ihn zu, ein roter Blitz, an den sich Jonas klammerte und der ihn aus der Gefahrenzone beförderte. Rund um ihn donnerte das Wasser, sprühte die Gischt, und Jonas lachte hysterisch.

    »Ich dachte nicht, dass du es noch schaffst«, sagte Anouk am Strand.
    Er sagte nichts. Aber das, was er vorhin an ihr erkannt hatte, war mit einem Schlag verschwunden.
    »Geh jetzt nicht raus«, sagte er. »Versprich mir das.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Darauf habe ich heute wirklich keine Lust mehr.«
    An der Erste-Hilfe-Station ließ er sich notdürftig zusammenflicken. Als er zur Strandbar zurückkehrte, wollten die anderen Surfer Einzelheiten von seinem Ritt wissen, vor allem jedoch erzählt bekommen, wie er gewaschen worden war. Eine halbe Stunde fertigte er sie mit Floskeln und Halbsätzen ab, dann kam die Nachricht von einem weiteren Unfall, der allerdings kein glückliches Ende fand. Der junge Kanadier, den die Welle abgeworfen hatte, wurde tot aus dem Wasser gezogen.

    Ein paar Tage später, als die Schnittwunden an seinen Beinen nicht mehr bei jeder Bewegung brannten, unternahm Jonas einen langen Spaziergang.
    Bei Einbruch der Dämmerung gelangte er an die äußerste Spitze einer Landzunge, der eine offenbar unbewohnte kleine Insel gegenüberlag, etwa vierzig oder fünfzig Meter entfernt. Dort schien jemand ein großes graues Schwimmbecken vergessen zu haben.
    Jonas beobachtete es lange, er beobachtete es, bis die Nacht hereingebrochen war und darüber hinaus. Er stand die ganze Nacht an derselben Stelle, hörte das Meer anbranden und wartete auf den Tag.
    Im Morgengrauen war das Schwimmbecken verschwunden. Jonas wanderte zurück zu Anouks Strandhaus und machte Frühstück, ohne sie zu wecken.

    Moi hieß die Insel, die Tanaka für ihn gefunden hatte, sie lag mitten im Indischen Ozean, und für die kleine Motorjacht, mit der er hinfuhr, brauchte man einen Bootsführerschein, den er nicht hatte. Tanaka hatte ihm jedoch versichert, es würde keine Schwierigkeiten geben, er sollte bloß Kurs halten und sich vor Stürmen hüten.
    Es war alles vorbereitet. Auf der ganzen Insel gab es nur ein Haus, das allerdings recht geräumig war und in dem jemand noch wenige Tage zuvor den Kühlschrank gefüllt hatte. Jonas war dankbar, dass Tanaka weder die Stromgeneratoren noch die Jetskis vergessen hatte.
    Er unternahm einen Rundgang. Neben dem Haus war zwischen zwei Palmen eine Hängematte gespannt, dahinter gab es eine Grillstelle, ein kleiner Schuppen enthielt verschiedene Gerätschaften, und in etwa hundert Meter Entfernung sah Jonas einen kleinen Wasserfall vor einem Felsen. Die Luft flirrte vor Hitze, und am Horizont zogen Gewitterwolken auf.
    Er nahm sich