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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Namen am Strand. Im nächsten Moment küsste er den Namen, wurde vom Namen getröstet, machte mit ihm einen Ausflug. Dazwischen schlichen sich Fetzen der Zeitrealität in die Handlung ein, jemand schluchzte, jemand brachte Tee, jemand sprach ernst, und dann surfte Jonas wieder neben dem Namen auf einer riesigen Welle.
    Nach einiger Zeit kehrte Jonas in die Wirklichkeit zurück mit dem Gefühl, von etwas umgeben zu sein, das sich zu einer Katastrophe auswachsen konnte. Etwas lag in der Luft, er kannte es und wollte fern davon sein.
     
    Die Zeit verging unendlich langsam.
    Gehen oder nicht gehen. Gipfel oder warten.
    Um elf Uhr nachts entschied Hadan, einen Tag verstreichen zu lassen und auf besseres Wetter zu hoffen.
    »Ein Drama«, sagte Jonas.
    »Ich weiß«, sagte Hadan. »Aber es ist zu gefährlich.«
    »Das sehen diese Tierschützer anders«, schimpfte Andrea. »Die gehen heute Nacht, und sie sind nicht die einzigen. Auch die Polen brechen auf, habe ich gehört.«
    »So, hast du gehört? Lass sie nur aufbrechen. Ich hoffe bloß, wir müssen sie nicht runterholen. Das kann nämlich nicht gutgehen, was die da vorhaben.«
    »Was sagt der Wetterbericht?« fragte Jonas.
    »Besserung morgen Abend. Aber jetzt bin ich misstrauisch.«
    »Hadan«, rief Andrea, »du willst mir nicht erzählen, dass ich dir einen Haufen Geld gezahlt habe, mich hier heraufgequält habe, in der Kotze einer jungen Frau sitze und mein Jahresurlaub draufgegangen ist, damit ich wegen schlechtem Wetter ohne Gipfel nach Hause fahren darf? Meine Kollegen machen sich in die Hose vor Lachen, wenn sie das hören! Wie stehe ich dann da?«
    »Du kanntest das Risiko, Andrea. Man weiß nie, ob das Wetter eine Besteigung zulässt.«
    »Das Wetter war ziemlich lange in Ordnung, nur haben wir viel zu viel Zeit im Basislager vertrödelt!«
    »Im Basislager kannst du nicht wissen, was für Winde hier oben herrschen, dazwischen liegen dreitausend Höhenmeter!«
    »Dreitausend Meter, die ich allein hochgestiegen bin, ja, keine Angst, die vergesse ich bestimmt nicht!«
    »Wir haben keine Zeit vertrödelt, wir sind genau zum richtigen Zeitpunkt da. Schau doch mal raus! Todd Brooks ist da, die Argentinier sind da, die Russen und Kasachen sind da, die allerbesten Expeditionen haben auf diesen Tag gesetzt.Beruhig dich und warte ab.«
    »Lass mich in Ruhe mit deinem Abwarten! Und nimm die da endlich mit zu dir!«
    Sie stieß die schlafende Sarah unsanft von ihrem Oberschenkel.
    »Wir beruhigen uns jetzt alle!« rief Jonas und kümmerte sich um Sarah, die nur kurz die Augen öffnete und sich danach nicht mehr rührte. »Andrea, morgen wird das Wetter besser, und wir gehen zum Gipfel. Alles klar? Morgen gehen wir zum Gipfel.«
    Die Bankerin sagte kein Wort mehr. Sie streckte sich aus und schloss die Augen.
    Hadan deutete auf die bewusstlose Sarah, die in Jonas’ Armen lag.
    »Was meinst du?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Jonas.
    »Macht sie uns Sorgen?«
    »Eher ja.«
    »Okay. Ich sehe zu, ob ich einen Arzt auftreibe. Und wie geht es dir?«
    »Erstaunlicherweise wieder besser.«
    »Du hast von allen hier die meisten Reserven, das weiß ich schon seit sechs Wochen.«
    »Das hast du mir aber verschwiegen.«
    Hadan lachte. »Du hast mir auch so einiges verschwiegen.«

54
     
    Am nächsten Morgen hatte der Wind nachgelassen, doch der Himmel war bewölkt, und es begann leicht zu schneien. Die Teams, die nachts aufgebrochen waren, kehrten zurück, die allgemeine Stimmung sank weiter.
    »Unmöglich«, sagte einer, dessen Gesicht eisverkrustet war und dem Jonas einen Becher Tee an die aufgesprungenen, zitternden Lippen hielt. »Wind. Keine Sicht.«
    Das darf doch nicht wahr sein, dachte Jonas. Ich bin so nah dran.
     
    Sarah wurde von zwei Sherpas nach unten begleitet. Auch Eva sowie Bill und Ramirez, zwei Teammitglieder, die Marc gebracht und mit denen Jonas selten zu tun gehabt hatte, gaben auf. Ramirez schenkte Jonas, dessen Uhr kaputt war, seine eigene. Jonas bedankte sich und versprach, sie heil nach unten zu bringen.
    »Das solltest du unbedingt«, sagte Ramirez, »aber zurückgeben brauchst du sie nicht. Sie gehört dir. Komm bloß wieder gut runter.«
    Obwohl sie bis jetzt kaum miteinander gesprochen hatten, umarmten sie sich zum Abschied. Mit einem Mal fühlte sich Jonas allen hier näher als je zuvor.
    »So wie es aussieht, könnten wir gleich mit denen mitgehen«, sagte Sam, der mit einer dubiosen Energiepaste vorbeikam, die er aus der Verpackung auf einen Teller

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