Das größere Wunder: Roman
rief er ein Taxi und trat ein in die Zeit, die nach Benzin und nach kalten Zugabteilen roch, nach Morgennebel und frischen Handtüchern.
31
Am Abend vor dem Aufbruch zur letzten Akklimatisationstour, die sie zu Lager 2 und zurück führen sollte, begann sich Jonas zusätzlich zu seinem immer quälenderen Husten so matt zu fühlen wie bei einer Grippe, und in der Nacht kam ein Fieberschub.
Er lag in seinem Schlafsack und dachte nach.
Er hatte schon darauf gewartet. Sorgen machte er sich deswegen nicht, diese Schübe kamen und gingen, damit wurde sein Körper fertig. Doch wenn er Fieber hatte, würde ihm weder Hadan noch Marc noch Helen erlauben, das Basislager zu verlassen. Wenn er sich jedoch ein paar Tage auskurierte, musste er sich den Gipfel womöglich ganz abschreiben, weil er in seiner Akklimatisierung zu weit zurückfiel. Während die anderen es schafften, würde er bestenfalls bis zu Lager 2 kommen, und womöglich würde dann bereits der Eintritt des Sommermonsuns alle Versuche, den Gipfel zu erreichen, auf Monate hin zunichtemachen.
Lager 2 war zwar besser als nichts, denn das Western Cwm, jenes geheimnisvoll schöne Tal oberhalb des Eisbruchs, war sein Minimalziel für diese Expedition gewesen, dieses Tal hatte er sehen, seine Gletscherspalten überqueren wollen. Aber eigentlich wollte er auch den Südsattel sehen, eigentlich sogar den Hillary-Step, und im Grunde wollte er noch mehr.
Seine Stirn war heiß, seine Lunge tat weh, er fühlte sich wie kurz vor einem Delirium. Wie er sich in zwei Stunden anziehen, geschweige denn die Steigeisen anlegen sollte, war ihm ein Rätsel.
Es gab jedoch einen Ausweg: Er musste schon jetzt damit beginnen.
Als er sich aufsetzte, drehte sich alles um ihn. Zum Glück ging das erbärmliche Schwindelgefühl nach einigen Minuten vorbei, doch in dieser Zeit konnte er nur dasitzen und leise schimpfen. Danach legte sich auch die Übelkeit ein wenig, was es ihm erlaubte, seine Sachen im ganzen Zelt zusammenzusuchen.
Immer wieder hielt er inne, um Atem zu schöpfen, zu horchen, ob sich sein Herz doch entschied, eine Spur weniger schnell zu schlagen, oder ob es entschlossen war, seiner großen Expedition jetzt und hier ein Ende zu setzen.
Er zog an, was er in seinem Fiebertaumel für geeignet hielt, machte Pausen, dachte an nichts, erfüllt von stechenden Schmerzen in der Brust und dem bizarren Wunsch, dreieinhalb Kilometer nach oben zu steigen. Als Pemba mit heißem Tee vor dem Zelt stand, war Jonas tatsächlich fertig und konnte sogar so tun, als würde sein Kopf nicht glühen, als hätte er Padang nicht gerade mit Pemba verwechselt, als erschienen ihm schon die fünfzig Schritte zum Messezelt nicht als eine unüberwindbare Hürde. Trotzdem hielt er es für klüger, den Sherpa einzuweihen.
»Padang, du musst mir helfen. Hast du Medizin?«
»Kommt drauf an, was du brauchst.«
»Das weiß ich selbst nicht so genau. Ich habe ziemlich hohes Fieber, ich brauche etwas, das mir auf die Beine hilft, und ich muss es kriegen, ohne dass jemand etwas davon merkt.«
»Wenn das Helen oder Hadan erfährt, bekomme ich furchtbare Schwierigkeiten, das weißt du?«
»Es bleibt unser Geheimnis, ich verspreche es.«
»Und du stürzt nicht in eine Gletscherspalte?«
»Das ist das Letzte, was mir einfällt, allenfalls lasse ich mich gleich von einem Sérac erschlagen.«
»Sehr witzig. Warte hier.«
Als könnte ich davonlaufen, meine Güte.
Es roch nach frischem Schnee. Der Wind blies Jonas mit einschüchternder Schärfe ins Gesicht. Es war kalt, unerträglich kalt in der Dunkelheit vor dem Zelt. Padang schien nicht mehr auftauchen zu wollen. Oder war es doch Pemba?
Jonas bekam Schüttelfrost. Seine Zähne schlugen so heftig aufeinander, dass sich eine Füllung lockerte, die einzige, die er hatte. Gerade als ihm einfiel, wie unsensibel seine Bemerkung über den Sérac angesichts des Unglücks der Sherpas im Eisbruch gewesen war, stand Padang wie aus dem Boden gewachsen wieder vor ihm.
»Es tut mir leid. Was ich vorhin gesagt habe, war eine Dummheit.«
»Hier, das nimmst du jetzt. Du schluckst es mit dem Tee, und diese drei Kapseln steckst du dir in die Unterhose, damit sie nicht einfrieren. Die nächste darfst du erst am Abend nehmen, auf keinen Fall vorher!«
»Und was mache ich, wenn sie nicht helfen?«
»Dann drehst du gefälligst um!«
Jonas spülte die Kapsel mit der kochend heißen Flüssigkeit aus der Thermosflasche hinunter und klopfte Padang auf die Schulter. Gern
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