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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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wusste, es war gar nicht Jerusalem, aber irgendwie glaubte ich, es sei Jerusalem, eines, vor dessen Toren noch rauchende graue Felder lagen, die wir überqueren mussten, um wieder in die Stadt zu gelangen, ähnlich wie wenn man versucht, eine vor langer Zeit gespielte Melodie wiederzufinden. Aus irgendeinem Grund trug Adam oder Daniel einen kleinen Kasten in der Hand, der ein Instrument enthielt, das er für mich spielen wollte, falls und wenn wir den Platz, den er suchte, erreichten, eine Art Horn, das aber, wer weiß, auch eine Waffe sein konnte. Am Ende führte der Traum in ein Zimmer. Aber da war der Kasten schon weg, und Adam oder Daniel zog sich vor meinen Augen langsam aus, indem er jedes Kleidungsstück peinlich genau auf dem Bett zusammenlegte, mit der zwanghaften Ordentlichkeit eines Mannes, der viele Jahre unter einer strengen Autorität gelebt hat, in einem Gefängnis vielleicht, wo er gedrillt worden ist, seine Kleider so und nicht anders zu falten. Es war eine Qual, ihn nackt zu sehen, traurig, aber auch süß, und ich erwachte voller Zärtlichkeit und Begehren.
    Am Nachmittag des nächsten Tages saß ich um Viertel vor fünf, nachdem ich zu oft in den Spiegel geschaut und mich für eine rote Perlenkette und baumelnde Silberohrringe entschieden hatte, wartend in der Eingangshalle. Er war zwanzig Minuten zu spät, und ich begann, auf und ab zu gehen, krank beim Gedanken daran, was mich auf meinem Zimmer erwartete, wenn er sich eines anderen besonnen hätte und nicht käme, an die endlos vor mir liegende Nacht, in der ich mich zerfleischen würde. Aber schließlich hörte ich in einiger Entfernung das Motorrad, er bog um die Ecke, und das üble Gefühl versank in einem glatten See strahlender Freude, die nichts trüben konnte, nicht einmal der Reservehelm, den er mir diesmal reichte, ein glitzernder roter, der gewöhnlich, man brauchte es mir nicht zu sagen, die Köpfe von Mädchen seines Alters zierte, die dieselben Bands hörten wie er und seine Sprache sprachen, Mädchen, die sich bei Tageslicht ausziehen konnten, mit Babyspeck an den Füßen.
    Wir fuhren durch die Straßen, im Leerlauf bergab, und ich war glücklich, Euer Ehren, glücklich wie seit Monaten oder gar Jahren nicht. Wenn er sich in eine Kurve legte, spürten meine Hände die Bewegung seiner Hüften, und das war genug, mehr als genug für jemanden, dem so wenig geblieben war, und ich dachte nicht viel darüber nach, was ich sagen würde, wenn wir bei der Adresse von Leah Weisz ankamen, der jungen Frau, die vor fünf Wochen bei mir erschienen war, um den Schreibtisch abzuholen. Als wir das verschlafene Dorf Ein Karem erreichten, hielt Adam an, um nach dem Weg zu fragen. Wir setzten uns in ein Café, und er bestellte in forschem Ton für uns beide, mit ein paar schnellen hebräischen Worten, scherzte mit der jungen Bedienung, knackte mit den Fingern und warf sein Handy auf den Tisch. Ein räudiger Hund schleppte sich hinkend über die Straße, aber auch das konnte mir die Stimmung nicht verderben oder von der Schönheit des Ortes ablenken. Adam rührte ein Stück Zucker in seinem Kaffee um und sang den Popsong mit, der aus den Lautsprechern des Cafés ertönte. Das Licht fiel auf sein Gesicht, und ich sah, wie jung er war. Hinter dem ungenierten, falschen Gesang gewahrte ich einen nervösen Schatten von Unsicherheit und begriff, dass er nicht wusste, was er zu mir sagen sollte. Erzählen Sie mir von sich, sagte ich. Er straffte sich, zündete sich eine Zigarette an, grinste und leckte sich die Lippen. Dann wollen Sie also doch über mich schreiben? Kommt drauf an, sagte ich. Worauf? Was ich über Sie erfahre. Er kippte den Kopf nach hinten und blies eine Rauchsäule aus. Also gut, sagte er. Sie können mich in Ihrem Buch benutzen. Ich bin dabei. Was wollen Sie wissen?
    Was ich wissen wollte? Wie es dort aussah, wo er hinkam, wenn er abends nach Hause ging. Was an den Wänden hing und ob er einen Ofen hatte, den man mit Streichhölzern anzünden musste, ob die Fußböden gefliest oder aus Linoleum waren und ob er Schuhe trug, wenn er darüber ging, und was für einen Ausdruck er aufsetzte, wenn er beim Rasieren in den Spiegel schaute. Wie es vor seinem Fenster und wie sein Bett aussah, ja, Euer Ehren, so weit war ich schon, dass ich mir sein Bett vorstellte, die zerwühlten Decken und billigen Kissen, sein Bett, in dem er manchmal, wenn er die Nacht allein verbrachte, in diagonaler Schräglage schlief. Aber ich fragte nichts dergleichen. Ich

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