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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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breiter, sodass ich manchmal das andere Ufer nicht mehr sehen konnte. Und wenn ich schließlich dort anlangte, wenn endlich doch ein Wort wie ein Rettungsboot erschien, und dann noch eines und noch eines, empfing ich sie leicht argwöhnisch, mit einem Misstrauen, das Wurzeln schlug und sich nicht auf meine Arbeit beschränkte. Man kann unmöglich dem eigenen Schreiben misstrauen, ohne ein tieferes Misstrauen in einem selbst zu wecken.
    Um diese Zeit begann eine Zimmerpflanze, die ich seit vielen Jahren hatte, ein großer Ficus, der in der sonnigsten Ecke unserer Wohnung prächtig gediehen war, plötzlich zu verkümmern und die Blätter abzuwerfen. Ich sammelte das abgefallene Grün in eine Tüte und nahm es mit in einen Pflanzenladen, um zu fragen, was ich tun könne, aber niemand konnte mir sagen, was der Ficus hatte. Ich versuchte wie besessen, ihn zu retten, und erklärte S wieder und wieder, welche diversen Heilmethoden ich schon probiert hätte. Aber dem Übel war nicht beizukommen, und am Ende starb der Ficus ab. Ich musste ihn rauswerfen, auf die Straße, und konnte ihn aus meinem Fenster den ganzen Tag sehen, kahl und verdorrt, bis der Müllwagen ihn abholte. Doch auch nachdem die Müllmänner ihn mitgenommen hatten, blätterte ich noch Bücher über Pflanzenpflege durch, studierte die Abbildungen von Schmierläusen, Monilia-Pilzbefall und Pflanzenkrebs, bis eines Abends S hinter mir auftauchte, das Buch zuklappte, seine beiden Hände auf meine Schultern legte und fest dort liegen ließ, während er mir direkt in die Augen sah, als hätte er meine Fußsohlen gerade mit Leim bestrichen und müsste mich, bis er trocken wäre, unter ständigem Druck an meinem Platz halten.
    Das war das Ende des Ficus, aber nicht das Ende meiner Unruhe. Nein, ich glaube, man könnte sagen, es sei erst der Anfang gewesen. Eines Nachmittags war ich allein zu Hause. S war bei der Arbeit, und ich war gerade von einer Ausstellung mit Gemälden von R. B. Kitaj zurückgekehrt. Ich machte mir etwas zu essen, und als ich mich damit an den Tisch setzte, hörte ich das schrille Lachen eines Kindes. Der Klang, die Nähe und noch etwas anderes, etwas Düsteres, Verstörendes hinter dieser kleinen Sequenz ansteigender Töne, trafen mich so, dass ich mein Sandwich fallen ließ, aufsprang und dabei meinen Stuhl umwarf. Ich rannte ins Wohnzimmer, dann ins Schlafzimmer. Ich weiß nicht, was ich dort erwartete; beide waren leer. Aber das Fenster neben unserem Bett stand offen, und als ich mich hinausbeugte, sah ich einen Jungen, höchstens sechs oder sieben Jahre alt, der allein, einen kleinen grünen Wagen hinter sich herziehend, die Straße hinunter verschwand.
    Jetzt fällt mir ein, dass in diesem Frühjahr auch Daniel Varskys Sofa vermodert ist. Eines Nachmittags, als ich vergessen hatte, das Fenster zu schließen, bevor ich aus dem Haus ging, kam ein Unwetter auf, und das Sofa wurde nass. Ein paar Tage später begann es, einen schrecklichen Gestank auszuströmen, nicht nur nach Moder, sondern einen sauren, fauligen Geruch, als hätte der Regen in den verborgenen Tiefen etwas Verdorbenes aufgelöst. Der Hausmeister entsorgte es unter angeekelten Grimassen, das Sofa, auf dem Daniel Varsky und ich uns vor all den Jahren geküsst hatten, und dann stand es ebenfalls traurig an der Straße, bis die Müllmänner es holten.
    Einige Nächte danach erwachte ich plötzlich aus dem gähnenden Abgrund eines Traums, der in einem alten Tanzsaal spielte. Einen Augenblick war ich unsicher, wo ich war, dann drehte ich mich um und sah S neben mir schlafen. Ich war erst einmal beruhigt, bis ich bei näherem Hinsehen entdeckte, dass er statt mit menschlicher Haut mit einem derben grauen Leder überzogen schien, wie ein Rhinozeros. Ich sah es so deutlich, dass ich mich heute noch an das genaue Aussehen dieser schuppigen grauen Haut erinnern kann. Nicht ganz wach und nicht ganz schlafend, bekam ich es mit der Angst. Ich wollte ihn berühren, um mich dessen, was ich sah, zu vergewissern, aber ich fürchtete, das Biest neben mir zu wecken. Also schloss ich die Augen und fiel schließlich wieder in den Schlaf, und die Angst vor S’ Lederhaut verwandelte sich in einen Traum über den Körper meines Vaters, den ich wie einen toten Wal auf den Strand gespült fand, nur dass es kein Wal war, sondern ein sich zersetzendes Rhinozeros, und um es zu bewegen, musste ich meinen Speer tief genug hineinstechen, damit er fest saß und ich den Körper daran hinter mir
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