Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
Vom Netzwerk:
Joella sich aus dem Magen gewürgt hatte? Aber es war nie irgendetwas da. Was ist los mit ihm?, fragte ich deine Mutter. Hat er keine Freunde? Um diese Zeit hatte Uri sich schon mit der ganzen Nachbarschaft befreundet. Ein endloser Strom von Kindern ging seinetwegen bei uns ein und aus. Eine Schwäche für Ecken hatte Uri nur, wenn er die Arme um sich selbst schlang und sich wand wie bei einem Zungenkuss. Er fuhr, sich knutschend, mit den Händen über den Rücken, kniff sich in den eigenen Hintern, japste dabei ein bisschen und ruckte mit dem Kopf in einer Kussimitation, dass man sich vor Lachen nicht mehr halten konnte. Aber dein Lachen war nie dabei. Später, beim Ausgeizen der Tomatenpflanzen, entdeckte ich im Garten ein Stückchen Erde, wo du auf geheimnisvolle Weise kleine Häufchen geformt, in Reihen versammelt und dazwischen mit einem Stock Rechtecke und Kreise gezogen hattest. Was zum Teufel soll das sein?, fragte ich deine Mutter. Sie reckte den Kopf und schaute es sich an. Das ist eine Stadt, erklärte sie ohne den geringsten Zweifel in der Stimme. Hier ist das Tor, zeigte sie, da der Befestigungswall, und das hier ist eine Zisterne. Dann ging sie weg und ließ mich wieder einmal geschlagen stehen. Wo ich kümmerliche kleine Erdhaufen gesehen hatte, sah sie eine ganze Stadt. Von Anfang an hattest du ihr die Schlüssel zu dir gegeben. Mir nicht. Mir nie, mein Sohn. Ich erspähte dich geduckt am Haus. Komm her, rief ich. Du kamst auf deinen kleinen Beinchen angewackelt, das Gesicht kurios von einem Eis am Stiel verschmiert. Was soll das bedeuten?, fragte ich, mit der Gartenschere gestikulierend. Du schautest auf den Boden und schnieftest. Dann hast du dich hingehockt und blitzartig ein bisschen umgebaut – eilig gewischt, geklopft, einen Klumpen neu geknetet. Im Stehen hast du es von oben noch einmal prüfend angeschaut, den Kopf im gleichen Winkel gereckt wie deine Mutter. Das also ist das Geheimnis, dachte ich. Du musst den Kopf in einem bestimmten Winkel halten, damit es Sinn ergibt! Doch kaum hatte ich die Lösung begriffen, hobst du den Fuß, ebnetest die ganze Sache mit ein paar schnellen Stampfern ein und verschwandest im Haus.
    Was war zuerst? Bin ich vor dir zurückgeschreckt oder du vor mir? Ein seltsamer Knirps mit einem Geheimwissen, der mich zur Weißglut brachte und zu einem jungen Mann heranwuchs, dessen Welt mir versperrt war. Willst du die Wahrheit wissen, Dov? Als du zu mir kamst, um mir von dem Buch, das du schreiben wolltest, zu erzählen, war ich fassungslos. Ich konnte nicht verstehen, wieso du beschlossen hattest, ausgerechnet mir davon zu erzählen – mir, dem du so wenig über dich verraten hast, mit dem du nur in letzter Instanz sprachst, wenn es unbedingt nötig war. Ich habe zu langsam geschaltet, um so zu antworten, wie ich es gern getan hätte. Ich konnte mich nicht so schnell umstellen. Ich nahm die alte Haltung ein. Einen bestimmten Ton, eine Schroffheit, die immer meine Verteidigung gegen alles gewesen war, was ich an dir nicht kapiert habe. Lieber wollte ich dich abweisen als von dir abgewiesen werden. Danach habe ich es bedauert. Du warst kaum aus dem Zimmer gegangen, da wurde mir klar, dass ich meine Chance vertan hatte. Ich verstand, es war ein Versöhnungsangebot gewesen. Ich hatte es verspielt, und ich wusste, ein zweites Mal würdest du nicht kommen.
    Ein Hai, der als Hort menschlicher Traurigkeit dient. Der alles auf sich nimmt, was die Träumenden nicht ertragen, der die Gewalt ihrer gesammelten Gefühle trägt. Wie oft habe ich an dieses Tier gedacht und an meine verlorene Chance mit dir. Manchmal wähnte ich mich kurz davor, das, wofür der große Fisch stand, in seiner ganzen Bedeutung zu begreifen. Eines Tages suchte ich in deinem Zimmer einen Schraubenzieher, den du dir geliehen hattest, und sah die einleitenden Seiten auf deinem Schreibtisch liegen. Meine erste Reaktion war Erleichterung darüber, dass ich dich schließlich doch nicht von deinem Vorhaben abgebracht hatte. Außer mir war niemand zu Hause, aber ich schloss trotzdem die Tür, bevor ich mich hinsetzte und über das schreckliche Tier las, das mit gefletschten Zähnen, aufgehängt im leuchtenden Becken, in einem sonst dunklen Raum schwebte. Der grünliche Körper mit Elektroden und Drähten bedeckt. Bei Tag und Nacht summende Maschinen. Irgendwo auch das anhaltende Geräusch einer Pumpe, die den Hai am Leben erhielt. Das Biest zuckte und wälzte sich, und gewitterartig huschten Ausdrücke über

Weitere Kostenlose Bücher