Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
Uferpromenade mit prächtigen Bank- und Versicherungspalästen aus den Goldenen Zwanzigern, blickte über den Huangpu-Fluss nach Pudong hinüber, das Manhattan von Shanghai, und dachte: New York kann einpacken.
Neben mir stand Julia, eine mit einem Chinesen verheiratete deutsche Gitarrenlehrerin, die seit zwölf Jahren in der Stadt lebt und mir über mein Blog zugelaufen war, kramte in ihrer Tasche und sagte: » Moment, ich muss mal kurz fotografieren. Ich war ein paar Wochen nicht hier, und da drüben stehen schon wieder zwei neue Wolkenkratzer.«
Meinen Plan, jeden Monat woanders zu leben, könnte ich für den Rest des Jahres auch ganz einfach hier erledigen: Die Stadt wechselt sich praktisch ständig selbst aus.
Und trotzdem habe ich den Eindruck: Da ist ein unveränderbarer Kern. An meinem ersten Wochenende war Qing Ming Jie, der chinesische Totengedenktag. An diesem Tag werden traditionell die Gräber der Ahnen gefegt, aber die ganze Sache ist bei weitem lustiger als unser Totensonntag. Es ist eine Art Party an Opas Grab, man hockt lustig mit einem Picknickkorb und ein paar Sixpacks rund um einen Ghettoblaster auf dem Friedhof und bringt den Toten die Dinge mit, die sie schon zu Lebzeiten gemocht haben: Schnaps, Süßigkeiten, Spiele. Was ich persönlich eine Spitzenidee finde. Habe ich je im Leben einen Kranz mit Schleife haben wollen? Warum also sollte ich ihn als Leiche wollen?
Im Jing’an-Tempel wurden bündelweise Räucherstäbchen abgebrannt, Äpfel vor der sechs Meter hohen Bodhisattva-Statue aus Kampferholz abgelegt, gemeinsam Alufolienkistchen für die Grabgaben gebastelt und Yuan-Münzen in den großen Bronzepott geworfen, zu Ehren Buddhas. Immer wenn es jemand schaffte, brandete bei den Umstehenden dezenter Tor-Jubel auf. Warum machen andere Religionen eigentlich immer mehr Spaß als unsere?
Ich musste wegen Fukushima ja schnell umdisponieren. Ich hätte erst im Mai hier sein wollen, mein Apartment war für die erste Zeit noch nicht frei. Ich zog also zunächst in ein kleines 26-Zimmer-Hotel in Jing’an, zentral, aber ruhig in einer idyllischen Platanenallee. Das URBN könnte genauso gut in Europa stehen: ein Boutique-Ökohotel, gebaut aus recycelten dunklen Holzbalken und den Schieferböden abgerissener Shikumen-Häuser; sehr schlicht, sehr schön. Und für China eine absolute Abnormität.
Als Jiangping, Julias Mann, mich einmal abholte, schüttelte er nur verächtlich den Kopf. » Das soll ein Hotel sein? Warum ziehst du nicht ins Hyatt, in ein Zimmer im 83. Stock? Warum nicht in eines der 680 Zimmer des Sheraton? Das ist toll, aber doch nicht so ein… so ein…« Er rang nach Worten.
Schon verstanden: Klein ist hier nicht fein.
Wir gingen zu dritt essen, Jiangping, Julia und ich. Wahnsinnig angenehm, denn Speisekarten sind in den meisten Restaurants natürlich auf Mandarin. Aber selbst gelegentliche englische Übersetzungsversuche helfen nicht wirklich weiter: Old dopted mother eleusine liest man da oder Tile fish homesickness oder Acid cowpea flashy foam . Was zum Teufel soll das sein? Meist stehen zwar Fotos in Technicolor-Farben dabei, aber auch die sind in der Regel wenig aufschlussreich. Giftgrünes makkaroniförmiges Gemüse und undefinierbar gelatinöse ochsenblutrote Würfel in einer braunen Flüssigkeit– das kann alles Mögliche sein.
Trotzdem mag ich das Gefühl der sprachlichen Orientierungslosigkeit bis jetzt sehr gern. Es sollte für mich als Schreibhandwerkerin ja eigentlich die Hölle sein, stattdessen empfinde ich es als angenehm befreiend, einfach mal nur mit dem Finger auf Dinge zeigen zu können und zu schauen, was man bekommt. Trial and error, ein schönes Spiel, ob im Restaurant oder im Supermarkt. Denn was sich in den Verpackungen befindet, kann ich nur raten. Ich kaufe auf gut Glück; mal mag ich, was drin ist, mal nicht. Mir gefällt dieser Zustand der Ahnungslosigkeit, der Unzuständigkeit. Endlich mal nicht Bescheid wissen müssen, blutiger Anfänger sein dürfen in einer brandneuen Welt: herrlich!
Probiert habe ich es natürlich trotzdem mit der Sprache. Nach dem großen Spaß, den ich mit Spanisch in Buenos Aires hatte, dachte ich: Mandarin wird schon nicht so schwer sein, wie alle immer behaupten. Ich habe mir eine Privatstunde bei einer Chinesin namens Emily organisiert. Emily? Fast alle jungen Chinesen, die mit Ausländern zu tun haben, geben sich westliche Namen, die so ähnlich klingen wie ihre chinesischen, um es den Langnasen einfacher zu machen.
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