Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
frei bewegen können– auch nicht gerade leicht in vielen Städten. Mombasa? Dakar? Timbuktu?
Schließlich entschied ich mich für Addis Abeba. Ich kann Dir nicht mal einen wirklich überzeugenden Grund dafür nennen, nur lauter klitzekleine Gründe: Ich habe ein paar CD s mit äthiopischem Jazz aus den siebziger Jahren, die ich sehr mag, mich faszinierte die Geschichte von Kaiser Haile Selassie inklusive seiner Rolle als Messias der Rasta-Bewegung, ich fand spannend, dass Äthiopien seit dem Fund unserer Ururururundsoweiter-Ahnin Lucy als Wiege der Menschheit gilt, mich beeindruckte, dass es als einziges afrikanisches Land niemals kolonialisiert worden ist, und mich interessierte Addis als Sitz der Afrikanischen Union, also als eine Art Brüssel von Afrika. Es klang alles leicht skurril, eigensinnig, seltsam aus der Zeit gefallen, gar nicht recht afrikanisch– aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich nicht die geringste Ahnung, was mich erwarten würde. Ach so, dass Addis eine der höchstgelegenen Hauptstädte der Erde ist, wusste ich noch: Die Stadt liegt auf einer Hochebene bei 2400 Metern.
Von allen Städten auf meiner Liste war Addis Abeba diejenige, in der ich mir mich vorher am wenigsten vorstellen konnte. Man entwickelt ja auch von unbekannten Orten meist eine Phantasie, sieht sich in Cafés sitzen, über Märkte schlendern oder U-Bahn fahren– man verortet sich in der Vorstellung. Addis: Fehlanzeige. Keine Idee, kein Plan; und ich fand es sogar gut so. Ich war weit offen für alles, was mir über den Weg laufen würde.
Es begann rumpelig. Normalerweise lebe ich in möblierten Wohnungen, so eine war allerdings in diesem Fall online nicht zu fi nd en. Also eine Pension. Über das Internet hatte ich etwas entdeckt, das sich bezaubernderweise Mr. Martin’s Cozy Place nannte, einem Deutschen gehörte und zwölf Euro pro Nacht kosten sollte. Ein angemessenes Leben in einem so armen Land, fand ich, und habe für einen Monat gebucht.
Ich landete morgens um fünf, der Taxifahrer kannte die Adresse nicht. Schließlich fanden wir ein Metalltor am Ende einer Sandpiste neben der Ausfallstraße. Dahinter einige Häuser um einen Innenhof verteilt, durch den Hühner liefen. Fand ich alles noch ganz cozy . Aber nachdem ich eine halbe Stunde auf dem harten Bett in dem frisch mit knallroter Lackfarbe gestrichenen Zimmerchen gesessen hatte und mir fast schwindlig von den Farbdämpfen geworden war, nachdem ich die aus der Wand hängende Steckdose und die einsame Neonröhre an der Decke gesehen hatte– die einzige Lampe im Raum–, das Gemeinschaftsbad am Ende des Flurs besucht und die Vorschlaghämmer vom Hochhausbau nebenan gehört hatte, dachte ich: Möglicherweise bleibe ich doch nicht den ganzen Monat in dieser Bude. Möglicherweise nicht mal einen Tag. Dieser Ort wäre der sichere Weg in die Depression gewesen, und damit wäre weder mir noch der Stadt gedient.
Ich bin in diesem Jahr unglaublich gut in » Love it, change it or leave it« geworden. Wenn man keine Zeit zu verschwenden hat, radikalisieren und beschleunigen sich die Entscheidungen ganz enorm. Sie versachlichen sich aber auch. Ohne Zögern und ohne Trauer habe ich beispielsweise für jedes Ding, das neu in meinem Koffer landete, ein altes hinausgeworfen. Anders geht es nicht. Man wird wahnsinnig pragmatisch beim Reisen. Was funktioniert, bleibt, was nicht, nicht.
Und das gilt auch für Pläne.
» Love it« oder » change it« würde mir bei Mr. Martin’s Cozy Place nicht gelingen. Folglich: » leave it«. Gottlob gab es ein wackliges WLAN , das lang genug hielt, um auf der LonelyPlanet-Website, der ich in solchen Ländern immer traue, die Empfehlung für ein Mittelklassehotel mit Internetanschluss zu finden. Die hatten was für zwei Tage frei, also hin. Der Rest würde sich finden.
Am Nachmittag bin ich wie immer ziellos herumgestromert, um ein Gefühl für die Stadt zu bekommen. Addis Abeba ist wie die meisten afrikanischen Städte eine Mischung aus Wellblechhütten, staubigen Straßen, Ostblock-Architektur und postmodernistischen Protzbauten, die von chinesischen Investoren eilig hingeklotzt wurden. Eine langsam gewachsene Stadt, wie wir sie kennen, ist es nicht, eher eine Wucherung. Aber ich habe die leise Ahnung, dass der eklatante Clash von Hütte und Palast, Beeindruckungsarchitektur und miesester Infrastruktur erst vor wenigen Jahrhunderten genau so auch in jeder europäischen Stadt zu finden gewesen wäre.
Wie auch schon in Mumbai läuft kein
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