Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
Weißer einfach so zum Spaß durch die Straßen. In Addis hat man erstens immer ein Ziel und zweitens einen Wagen mit Fahrer, der einen dorthin bringt. Ich mag es mir aber nicht nehmen lassen, zu Fuß zu gehen, auch wenn das oft anstrengend ist: Kinder heften sich an meine Fersen, Männer bieten mir Begleitung an; höflich, aber nervig.
Also suchte ich mir doch ein Ziel, das Nationalmuseum, wo die größten Schätze des Landes– nein: der Menschheit!– aufbewahrt werden: die Skelette von Lucy und Ardi, den ältesten Hominiden der Welt. Urmenschen, 3,2 beziehungsweise 4,4 Millionen Jahre alt, beide in Äthiopien gefunden.
Zu sehen, wie die Fundstücke lieblos in verstaubten Kisten mit ein paar kargen vergilbten Zeichnungen erläutert präsentiert werden (auch wenn es nur Replika sind), drehte mir das Herz um. Dasselbe gilt für die spektakulären Kronen und Staatsroben von Haile Selassie: unbeleuchtet und unerklärt in verschmierten Glaskästen, es ist herzzerreißend. Was könnte man mit etwas Geld für eine tolle Ausstellung daraus machen! Aber genau das fehlt natürlich. Und wenn es da wäre, gäbe es hier weitaus Dringenderes zu zahlen.
Ende von Tag 1: leichte Zweifel, schwere Beklommenheit. Wenn das schon der kulturelle Höhepunkt von Addis gewesen sein soll – war es eine blöde Idee, hierher gereist zu sein?
An Tag 2 wurde diese Frage knapp und klar beantwortet: nein. Es war eine Spitzenidee. Denn da hatte ich eine Begegnung, die mir den ganzen Monat retten sollte.
Vor einiger Zeit hatte mich eine Frau auf Facebook kontaktiert, deren Name mir auf Anhieb nichts sagte: Brigitte Maria Mayer. Irgendwas klingelte zwar von fern, aber ich habe sie eigentlich nur als Kontakt bestätigt, weil sie in Addis lebte. Nun war ich hier, habe mich mit ihr auf einen Kaffee verabredet und bei der Gelegenheit endlich gegoogelt, wer das eigentlich ist.
Aber natürlich! Verdammt!
Brigitte Maria Mayer, Fotografin, Filmemacherin, Witwe des Dramatikers Heiner Müller. Sie lebt derzeit in Addis, weil sie die letzten zweieinhalb Jahre daran gearbeitet hat, ein Filmprojekt über das Leben Jesu zu verwirklichen, mit dem Arbeitstitel » Der Wohnsitz Gottes«. Sie wollte in Äthiopien drehen, dem einzigen afrikanischen Land mit eigener christlicher Tradition, also keinem von Missionaren eingeprügelten Glauben. In einem Land zudem, das in weiten Teilen bis heute so aussieht wie zu biblischen Zeiten.
Die Schauspieler waren schon gecastet, fast nur Laien, für die sogar Schauspiel- und Stimmtraining organisiert wurde; 200 Kostüme waren genäht worden, alles war vorbereitet– und dann hat der Patriarch von Addis Abeba vor drei Wochen endgültig die bereits erteilte Drehgenehmigung zurückgezogen, ohne die hier nichts geht. Alle Einsprüche von Konsulat und Kulturbehörden haben nichts genützt, sogar ein Unterstützungsbrief von Angela Merkel blieb erfolglos. Und jetzt? Alles anders, alles umschreiben, vielleicht in Deutschland drehen, dann aber eine Studioproduktion. Nicht zu vergleichen mit dem, was hier an Bildern entstanden wäre. Niederschmetternd. Die Erfahrung, dass alles in letzter Minute zusammenkrachen kann, hat sie nicht als Erste gemacht. Auch Angelina Jolie wollte das in Äthiopien spielende Entwicklungshilfe-Drama » Beyond Borders« hier drehen, musste aber nach Namibia ausweichen.
All das erzählte mir Brigitte bei einem Tee in der Bar des Hilton, dem Wohnzimmer der Diplomaten, Entwicklungshelfer und Journalisten, das sich jeden Nachmittag mit müden Gesichtern füllt. Angesichts der Tatsache, dass gerade zweieinhalb Jahre Arbeit zunichte gemacht worden waren, klang sie angegriffen, aber gefasst. Und vor allem kein bisschen weniger begeistert von Äthiopien.
» Auf jeden Fall müssen Sie raus aus Addis, das ist ja klar«, sagte sie. » Nach Bahir Dar, dann nach Gondar, in die Simien Mountains, Axum, Lalibela. Zehn Tage mindestens.«
Sie hatte ihren Laptop mitgebracht und zeigte mir atemberaubende Fotos, die sie auf Locationsuche im Norden gemacht hatte: archaische Landschaften, alttestamentarische Gesichter voller Würde, alles in einem Licht wie aus einem Breitwandfilm der fünfziger Jahre. Ich sah die Bilder und verstand, warum sie die letzten Jahre so sehr um ihren Film gekämpft hatte.
Und beschloss augenblicklich: Da muss ich auch hin.
Eine Woche später packte ich eine kleine Reisetasche und flog nach Bahir Dar. Nicht allein: Eine junge Äthiopierin namens Netsanet begleitete mich, sie würde mich zehn
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