Das Große Spiel
Hoheitsrechte zur Steuereintreibung abgekauft haben, exorbitante Steuern bei der Bevölkerung eintreiben und uns nur Almosen abführen. Obwohl diese Blutsauger dem Volk immer mehr Steuern abpressen, kriegt die Krone immer weniger.« Er blickte finster zu Samuel Bernard, der keine Miene verzog.
»Zahlen, Zahlen, Zahlen, Noailles ... Ich habe Sie nicht ins Richteramt berufen.« Der Duc d'Orleans war ganz offensichtlich in Hochform. Er musste sich eine ganze Menge vorgenommen haben.
»Die täglich eintreffenden Rechnungen sind kaum noch zu bewältigen, Monsieur le Duc, die Zahlungsrückstände derart enorm, dass man sie kaum noch beziffern kann. Wir haben die Einnahmen der Zukunft längst ausgegeben. Wir haben die Zukunft Frankreichs vergeudet. Es ist das Beste für alle, wenn Frankreich den Bankrott erklärt. Dann fangen wir neu an.«
»Nein«, sagte der Duc d'Orleans, »Frankreich bankrott zu erklären, das kommt nicht infrage, Messieurs.«
»Aber Frankreich ist bankrott, Monsieur, ob wir es nun erklären oder nicht«, setzte Noailles nach.
Der Duc d'Orleans zeigte auf John Law: »Monsieur? Können wir mit einer Staatsbank, so wie Sie sie entworfen haben, Frankreich vor dem Bankrott retten?«
»Ja«, antwortete John Law mit fester Stimme, »eine Staatsbank wird durch die Ausgabe von Papiergeld umgehend die Geldmenge erhöhen und so den Handel ankurbeln.«
»Wozu eine Bank?«, unterbrach Samuel Bernard. »Diese Funktion nehmen bereits die Finanziers der Krone wahr. Monsieur Law will die hochverdienten Finanziers der Krone durch eine Staatsbank ersetzen. Cui bono? Wer profitiert davon, Monsieur? Sie vielleicht, Monsieur Law? Aber nicht die Krone.«
»Und wer trägt das Risiko?«, fügte Noailles hinzu. »Der Staat und nicht Monsieur Law of Lauriston.«
Der Duc d'Orleans warf John Law einen ungeduldigen Blick zu, doch Noailles setzte nach:
»Es wäre wohl auch sehr schwierig, dem Parlament das Bankenprojekt eines Protestanten zu verkaufen, eines englischen Protestanten.«
»Noailles!«, herrschte ihn der Regent an. »Ich bin heute nicht aufgestanden, um mit Ihnen Dinge zu diskutieren, die angeblich nicht möglich sind.« Der Regent erhob sich und verließ mit energischem Schritt den Saal.
Hunderte von zerlumpten Gefangenen verließen die Bastille und wurden draußen von einer johlenden Menge empfangen. Sie wirkten scheu, verunsichert.
Die meisten ertrugen das grelle Tageslicht nicht und blieben im Schatten der Mauern stehen. Doch die Menge zerrte sie auf die Straße, hob sie auf die Schultern und führte sie vor, als hätten sie einen Sieg errungen. »Vive le Regent«, skandierte die Menge, »vive Philipp d'Orleans!«
Philipp hörte von den Hochrufen am östlichen Rand der Stadt nichts. Er saß in seinem Arbeitszimmer im Palais Royal und annullierte einen lettre de cachet nach dem anderen.
»Es sind tausende, Monsieur Law, tausende von Menschen, die ohne Gerichtsverfahren seit Jahrzehnten in diesen Gemäuern vegetieren«, sagte der Herzog und blickte kurz auf. Zwei Staatssekretäre reichten ihm weitere Dokumente. Ihre Worte waren stets die gleichen:
»Ohne Anklage. Vergehen unbekannt.«
Der Herzog nahm einen der lettres de cachet. »Sehen Sie hier: Ein Unglücklicher aus Marseille, er saß fünfunddreißig Jahre, stellen Sie sich das mal vor, eine ausgezeichnete Gesundheit, fünfunddreißig Jahre, er bat die Wächter, ihn wieder hineinzulassen, weil er draußen niemanden mehr kennen und sich nicht mehr zurecht finden würde.«
Der Herzog war bestens gelaunt. Sein ehemals aufgedunsenes Gesicht war straff und von gesunder Farbe. Er signierte und annullierte. Es fiel ihm durchaus auf, dass John Law kein Interesse für seine Geschichten hatte: »Sie sind erneut wegen Ihrer Bank hier, Monsieur Law?«
John nickte.
»Das Parlament will keine Bank, Monsieur. Ich bedaure. Voilá. C'estga, c'esttout.«
John Law hatte größte Mühe, seine Enttäuschung und Wut zu verbergen. Aber er wollte die Beherrschung nicht verlieren.Verlor er sie, machte er es dem Herzog zu einfach, sich seinerseits zu ereifern. Er stand auf und bedankte sich mit einer knappen Verbeugung für die Antwort des Regenten.
»Ich verstehe Ihre Enttäuschung, Monsieur Law«, sagte der Regent mit energischer Stimme, »aber ich brauche das Parlament. Die spanische Krone erhebt Anspruch auf den französischen Thron. Philipp V. von Spanien wittert Morgenluft. Er ist immerhin ein Enkel von Louis XIV., also nicht ganz ohne Aussichten auf Erfolg.
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