Das Große Spiel
weiterhin die Zeit finden, mich zu empfangen«, sagte der Duc de Saint Simon, als er von John Law im großen Saal im ersten Stock begrüßt wurde. Mittlerweile liefen noch mehr flinke Schweizer Lakaien in grünen Livreen über das Parkett. Es herrschte reger Betrieb. Die Kunden kamen und gingen. Die Menschen sprachen leise, gedämpft. Etwas Sakrales durchflutete die imposante Säulenhalle. In den Fensternischen waren kleine Tische aufgestellt, an denen Kunden von vornehmen Sekretären bedient wurden. An allen Tischen hatten sich Warteschlangen gebildet.
»Wir werden bald umziehen müssen«, flüsterte John Law dem sichtlich beeindruckten Saint Simon zu. Er führte den Herzog in einen Nebenraum, der wie alle Türen zu den hinteren Sälen von Schweizer Gardisten bewacht wurde.
Saint Simon betrat John Laws Arbeitszimmer. Vier Sekretäre waren damit beschäftigt, Banknoten zu signieren und von Hand die Nummer der Note einzutragen.
»Immer mehr Ausländer kommen nach Paris, um ihre Wechsel einzulösen. Ich habe gehört, dass man unsere Banknoten in Amsterdam bereits über pari handelt. Stellen Sie sich vor: Die französischen Staatsanleihen haben bereits über sechzig Prozent an Wert verloren, aber eine Banknote, die in diesem Hause signiert wird, ist mehr wert als der Betrag, der auf dem Papier verbürgt wird.«
»Und wo lagern Sie das viele Münzgeld?«, fragte Saint Simon leise. »Das ist ein Geheimnis«, entgegnete John Law.
»In Paris wird gemunkelt, Sie hätten eine massive Unterdeckung. Auf eine Münze hätten Sie bereits den zehnfachen Gegenwert in Banknoten ausgegeben. Wenn alle Inhaber von Banknoten ihre Papiere am selben Tag gegen Münzen eintauschen wollten, könnten Sie nur gerade zehn Prozent von ihnen befriedigen.«
»Was wollen Sie damit andeuten, Monsieur le Duc?«, fragte John Law und schaute Saint Simon dabei eindringlich an.
»Sie haben Feinde, Monsieur«, sagte Saint Simon. Er zögerte, als sei er unschlüssig, wie viel er verraten solle. John Law trat zur großen Fensterfront, die den Blick auf die Reiterstatue an der Place Louis-le-Grand freigab. Saint Simon folgte ihm.
»Ich bin aufrichtig überrascht, Monsieur«, begann Saint Simon von neuem, »wie schnell Ihre Bank Wirkung zeigt. Ich kenne Menschen, die bei Ihnen Kredite aufgenommen haben und plötzlich investieren, Arbeiter einstellen ...«
»Weshalb sind Sie hergekommen, Monsieur le Duc?«, fragte John Law. Jetzt sprach er sehr ernst. »Was wollen Sie mir mitteilen?«
»Selbst wenn Ihr System siegt, Monsieur, werden Sie untergehen. Aber ich fürchte, ich komme zu spät.«
Saint Simon sah die Kutsche, die auf die Place Louis-le-Grand einbog. Eine zweite folgte ihr. Und dann weitere Kutschen. »Ich kam zu spät, Monsieur Law ...« John Law sah den Schrecken im Gesicht von Saint Simon.
John Law wandte sich ab. »Sie entschuldigen mich. Ich muss hinuntergehen und den Kunden empfangen«, sagte Law mit gefasster Stimme. Als er die geschwungene Treppe hinunterging, trat Samuel Bernard bereits durchs Portal.
»Monsieur Law«, rief der Bankier mit lauter, dröhnender Stimme, sodass ihn alle in der großen Säulenhalle hören konnten, »Monsieur Law, ich besuche heute die Banque Generale, um Banknoten im Wert von fünf Millionen Livre gegen Münzen in Silber und Gold einzutauschen.«
»Ich heiße Sie herzlich willkommen, Monsieur Bernard. Es schmeichelt uns, dass Sie uns die Ehre erweisen, für Sie ein Geschäft tätigen zu dürfen.« John Law hatte ebenso laut gesprochen wie Bernard. Langsam schritt er nun die letzten Stufen hinunter. Von draußen drängten immer mehr Schaulustige in die Schalterhalle. Offenbar hatte sich bereits herumgesprochen, was sich heute in der Bank abspielen sollte.
»Wo darf meine Dienerschaft das Geld in Empfang nehmen?«, fragte Bernard siegesgewiss und drehte sich theatralisch nach den anwesenden Leuten um.
»Hier, Monsieur. In dieser Halle«, entgegnete John Law.
Samuel Bernard war irritiert. Zornesröte brachte sein Gesicht zum Glühen.Trotzig setzte er nach: »Ich warte, Monsieur.«
»Morgen um zehn«, erwiderte John Law, »wir erwarten heute Gesandte aus Russland, Holland und Italien. Ich bitte um Verständnis, dass wir für eine Transaktion von fünf Millionen Livre vierundzwanzig Stunden benötigen. Darf ich Sie bitten, sich im oberen Stock zu melden? Es gibt noch einige Formalitäten zu erledigen.«
John Law verbeugte sich und schritt an Samuel Bernard und den Schaulustigen vorbei. Er verlangte nach
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