Das gruene Gewissen
Nacht oder fuhr zur Arbeit. Aber ich hatte mit solchen Dingen nichts mehr zu tun. Nicht für die nächsten zwei Tage.
Die Heerstraße wurde irgendwann groß und breit wie ein Flussdelta. Es ging vorbei an ocker gestrichenen Kasernen der ehemaligen Roten Armee, die noch immer leerstanden. Ein Maklerbüro aus Falkensee warb mit komfortablen Wohnungen. Aber wer wollte hier leben? Vor Nauen sah ich wieder Hochspannungsleitungen und einen der vielen Windparks. Dann kam das Dorf Ribbeck.
Als Kind hatte ich das Fontane-Gedicht des Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland gehört. Es gibt hier noch einen Birnenbaum, der auf den Ahnen zurückgehen soll. Doch die Zeit hat ihre Spuren auch in Ribbeck hinterlassen: Die Straßen waren so breit, dass sie bis an die Häuser heranreichten. Reklameschilder, die fürSupermärkte oder Diskotheken warben, hatten das Antlitz des Dorfes auseinanderbrechen lassen. Farben und Proportionen passten nicht zueinander. Jede Harmonie war zerstört.
Dann kam Kampehl, in dessen Kirche die lederne Mumie des Ritters Kalebuz aus dem 17. Jahrhundert aufbewahrt wird. Der Sage nach soll er nie verwest sein, weil er durch den Mord am Mann einer von ihm verehrten Magd Schuld auf sich geladen hatte. Es war ein dunstiger Morgen, der mich an die Angeltage im Schilf mit meinem Vater erinnerte. Ich hielt an, um zu rauchen, und starrte auf einen Graben, der sich durch das Dickicht schlängelte. Er sah aus wie jener, an dem ich meine ersten Wurfversuche gemacht und geglaubt hatte, eine Forelle oder einen Rapfen im dunklen Wasser zu entdecken. So ging es in östliche Richtung in die Grafschaft Ruppin, an das Ufer des Stechlin, eines der klarsten und tiefsten Seen Deutschlands.
„Rheinsberg von Berlin aus zu erreichen ist nicht leicht“, resümierte Fontane, der Rheinsberg im ersten Band seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg nicht ohne Emphase erwähnt. „Die Eisenbahn zieht sich auf sechs Meilen Entfernung daran vorüber, und nur eine geschickt zu benutzende Verbindung von Hauderer und Fahrpost führt schließlich an das ersehnte Ziel. Dies mag es erklären, warum ein Punkt ziemlich unbesucht bleibt, dessen Naturschönheiten nicht verächtlich und dessen historische Erinnerungen ersten Ranges sind.“ 66
Wie in anderen Dörfern mit den Namen Lentzke, Manker oder Protzen, die in der Gegend des Rhins lagen, säumten Häuser aus der Fontanezeit und gestutzte Kopfweiden den Weg durch das Dorf Menz. Das märkische Junkertum, oder was ich mir unter einem Instetten oder Schach von Wuthenow vorstellte, musste einst so gelebt haben. Vor hundert Jahren sind hier vielleicht Kutschen mit Holzrädern über das Kopfsteinpflaster gerauscht, dachte ich, und die darin sitzenden Junker haben die Burschen und Mädchen, die Kastanien am Straßenrand auflasen, keines Blickes gewürdigt.
Auf einem Straßenschild las ich, dass es bis zum Buddhistischen Institut nur noch wenige Hundert Meter seien. Ich ließ diese Ausfahrt rechts liegen. Denn die Geschichte Rheinsbergs hat noch eine andere Seite, die vielleicht mehr über den deutschen Blick auf die Natur erzählt, als es die Begeisterung für Reisebilder des 19. Jahrhunderts kann. Deswegen war ich hier.
Kernkraft – eine deutsche Hassliebe
Atom: Dieses Wort klingt wie ein Schuss. Weit mehr als jede Technologie weckt die Kernkraft in Deutschland Ahnungen der Nachtseiten von Wissenschaft und Technik, lässt die Frage nach der Berechtigung dessen aufkommen, was technisch möglich ist. Vor dem März 2011 lag der Anteil der Kernenergie am deutschen Strommix bei 23 Prozent, nach dem Abschalten ging er auf 15 Prozent runter. Noch immer zu viel, meinen manche.
Philosophen wie Günter Anders, Hans Jonas, dessen Klassiker Verantwortungsethik nicht zufällig Ende der siebziger Jahre erschien, oder Robert Spaemann haben ihr Schaffen seit dieser Zeit ebenso in den Dienst einer Verhinderung atomarer Gefahren gestellt wie die Pädagogin Gudrun Pausewang, deren Bücher zur geistigen Nahrung der Schulkinder wurden. Aber auch deren Eltern und die Lehrer selbst lasen Die Wolke : eine ganze Generation, von der nicht wenige später selbst zu schreiben begannen und heute die Leitartikel von Magazinen und Tageszeitungen verantworten. Mehr als 1,5 Millionen Exemplare des Buchs, das wie kein anderes das Bild der Deutschen von der Kernkraft prägte, sind bis heute verkauft worden.
Nach dem Krieg sah die Situation zunächst anders aus. Der Kampf um ein deutsches „ Man on the Moon
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