Das gruene Gewissen
-Projekt“ war entbrannt. Staatliche Macht mit Hilfe moderner Technik zur Schau zu tragen war durchaus State of the Art. Wenn heute die Potenziale, aber auch die Notwendigkeit einer Förderung der erneuerbaren Energien diskutiert werden, so galt dies in den fünfziger und sechziger Jahren nicht anders für die Kernkraft. Die Ängste der Menschen richteten sich ungeachtet des Atombombenabwurfs vom 6. August 1945 weniger auf ein atomares Inferno als auf die Chancen, die in den „Atoms for Peace“ steckten, wie Präsident Eisenhower die friedliche Nutzung der Kernkraft 1953 beschrieb. Das atomare Zeitalter war, kurios genug, eines, das dem Frieden und dem Wohlstand dienen sollte. Und es faszinierte, weil die Kerntechnik wie jede neue Technik ein Zukunftsversprechen war. Sie verhieß, den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands anzukurbeln. „Der Anteil der Kernenergie an der Gesamtstromerzeugung wird sich in der Zukunft sehr vergrößern“, schrieb mein Großvater zu Beginn der sechziger Jahre in einem Manuskript. „Es bedeutet doch eine unverantwortliche Vergeudung, Kohle chemisch zu verbrennen, wenn eine inneratomare Verbrennung eine millionenfache Energie liefert.“
Nachdem das Verbot des Alliierten-Kontrollrats zur Erforschung der Kernspaltung mit den Pariser Verträgen 1955 offiziell gefallen war, starteten die Vorbereitungen für das, was die SPD im Jahr 1956 als „Atomplan“ veröffentlichte. Zunächst ging es darum, die Technik zu beherrschen und den Vorsprung aufzuholen, den andere Länder nicht zuletzt in Folge der Emigration namhafter Wissenschaftler – nur wenige wie etwa Werner Heisenberg, Otto Hahn oder Max von der Laue lebten noch in deutschen Landen – aufgebaut hatten. Die neu gegründete Max-Planck-Gesellschaft, die Erbin der auf gefährliche Weise in das politische Geschehen nach 1933 verstrickten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, wurde für sie zur wissenschaftlichen Heimat.
1955 wurde ein Bundesministerium für Atomfragen gegründet, das zunächst von Franz Josef Strauß geführt wurde. 1961 ging das erste deutsche Kernkraftwerk in Kahl am Main ans Netz. Zur Geschichte des ersten Atomprogramms und der Folgejahre zählte dabei die zögerliche Haltung der Energieversorgungsunternehmen, die sich den gesellschaftlichen Erwartungen an die Kernkraftnicht anschließen wollten, weil sie das finanzielle Risiko scheuten. Anders als in Frankreich oder den USA konnte man weder auf direkte Unterstützung noch entsprechende Infrastruktur in Form nationaler Forschungszentren zurückgreifen. Zudem war die Steinkohle im alten Bundesgebiet zu Genüge vorhanden. Dennoch führten der steigende Energiebedarf und die von allen politischen Lagern bejahten Fortschritte in der Technologie zu einem sukzessiven Ausbau der Kernkraft. Vor allem in Folge der Ölkrise im Jahr 1972 entschloss sich die SPD-geführte Bundesregierung zur Verdopplung der Kapazitäten binnen eines Jahrzehnts.
Proteste im Westen – und der Einstieg im Osten
Nach der Verabschiedung des Atomgesetzes 1959 wurde erstmals 1975 im Bundestag über Kernenergie debattiert. Aus heutiger Sicht nehmen sich die damaligen Argumente geradezu bukolisch aus, sie waren allesamt nicht „weltpolitischer“ oder umweltpolitischer Natur, sondern von lokalen Zwängen bestimmt. Während die ersten Proteste sich am Beispiel des Kraftwerks Wyhl 1975 noch um die Befürchtungen drehten, dass die Nebelschwaden der Kühltürme negative Auswirkungen auf die Weinernte haben könnten, kam die wachstumskritische und damit politisch relevante Dimension der Proteste erst allmählich zum Vorschein. Man kann sagen, dass nicht allein die Kernkraft die Proteste schuf, sondern sich die emotionale Reaktion auf den allgemeinen Wandel der Zeit in dieser Technologie entlud. Auf die Regionen übertragen bedeutete das, dass man die Kernkraft immer auch als Vorbotin einer weiterführenden Industrialisierung ländlicher Landstriche ansah und sie auch deshalb verhindern wollte, und nicht unbedingt aus Angst vor den Folgen eines Unfalls.
Die siebziger Jahre waren eine Zeit der Konfrontation. Während man in Wyhl noch friedlich demonstrierte und sich dasSpektrum der Demonstranten über alle Schichten erstreckte, kam es in Brokdorf 1976 bereits zu heftigen Zusammenstößen. Aus Sicht der Kritiker gab es dabei eine gedankliche Brücke zwischen der Atomkraft und einem anderen das Land in Atem haltenden Phänomen, das nichts mit Umweltfragen zu tun hatte: Das Thema Sicherheit war vor Harrisburg
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