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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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und Tschernobyl eines, das seit den Studentenrevolten der ausgehenden sechziger Jahre nicht energiepolitisch, sondern vor allem außen- und innenpolitisch diskutiert wurde.
    Der Vietnam-Krieg und die Studentenproteste in den USA hatten auch in Deutschland zu einer neuen Form der Organisation von Widerstand geführt. Anschläge auf westdeutsche Militärbasen, Kaufhäuser und den Axel-Springer-Verlag hinterließen ebenso ein angekratztes Sicherheitsgefühl wie das Attentat von München oder der Stadtguerillakrieg der Rote-Armee-Fraktion. War der Staat gegen diese neue Art der Bedrohung gewappnet? Lag sie etwa in seiner Beschaffenheit begründet?
    Der deutsche Herbst des Jahres 1977, die Erschießung von Repräsentanten von Justiz und Wirtschaft, Stammheim und die Erstürmung der Landshut in Mogadischu fielen nicht nur zeitlich mit der Umsetzung neuer Kernkraftwerksbauten zusammen. Welch tragende Rolle die RAF in der Diskussion über die Kernkraft spielte, wird daran deutlich, dass neben den bekannten Feindbildern des Staats auch die Wirtschaft betroffen war. Es war möglich, dass spaltbares Material in die falschen Hände geriet. Erstmals wurden terroristische Angriffe auf kerntechnische Anlagen nicht mehr ausgeschlossen. 67
    Längst ging es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr darum, der Natur die Geheimnisse der Kernspaltung zu entlocken, wie in den fünfziger Jahren, oder sie mit Hilfe moderner Technik zu nutzen. Die Kernkraft stand für Werte, die zunehmend in die Kritik gerieten: expansives ökonomisches Wachstum, Staatsnähe (auch wenn die Kraftwerke nicht in staatlichem Besitz waren), Risiken für Mensch und Natur. Während die Proteste in Frankreich zwarebenfalls zunahmen, entfalteten sie dort nicht dieselbe Wirkung auf das staatliche Handeln wie in Deutschland. Sie blieben eine Fortsetzung der Maiproteste unter anderen Vorzeichen. Die vergleichsweise aktive Rolle des Staates und seiner Organe beim Aufbau und der Durchsetzung der Kernkraft, ein Konsens bei den Regierungsparteien, verhinderte in Frankreich eine Schwächung der Kernkraft im öffentlichen Meinungsbild.
    In Deutschland war das anders. Die Positionen der einzelnen Parteien wichen voneinander ab, die Haltung von Lokalpolitikern stand oftmals im Widerspruch zur Parteiräson. Man kann anders als in Frankreich von einem Machtvakuum sprechen, das dazu einlud, Formen des zivilen Ungehorsames am Beispiel der Kernkraft zu erproben. Hinzu kam, dass auch die Energieversorger vollkommen unterschiedliche Schwerpunkte verfolgten. Wer „reviernah“ mit der Kohleverstromung sein Geld verdiente, setzte zunächst weniger auf Kernkraft als die Unternehmen in den entstehenden Industrieschwerpunkten Bayerns und Baden-Württembergs.
    Aufgrund der föderativen Struktur der Republik gab es hinreichend Anknüpfungspunkte für außerparlamentarische Einflüsse auf die energiepolitischen Weichenstellungen durch die sich politisierenden Bürgerbewegungen. Nicht anders als bei heutigen Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen prägte die dezentrale Entscheidungsstruktur auch die Planungszeiträume. Doch auch die Sicherheitsfrage, die nach dem Harrisburg-Unfall 1979 in Deutschland stärker diskutiert wurde und zur Einberufung der Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergie-Politik führte, verstärkte die Erklärungsbedürftigkeit der Kernenergie aus der Sicht vieler Menschen.
    Und in der DDR? Nach einem Ministerratsbeschluss in den fünfziger Jahren stieg auch Ost-Berlin in die Erforschung der Kernenergie ein, obwohl der politische Rückhalt selbst in der Regierung Ulbricht und später Honecker nie das Ausmaß wie im Westen erreichen konnte. Solange der Staat Braunkohle im Überfluss besaß und von der Sowjetunion Öl bekam, musste er sich nicht auf technologische Wagnisse einlassen, zumal Tschernobyl allen offiziellen Verlautbarungen zum Trotz auch in der DDR Spuren hinterließ und Zweifel an neuen Projekten aufkommen ließ. 68
    Massiv unterstützt von der Sowjetunion, hielt dies die DDR zunächst nicht davon ab, der Bundesrepublik nachzueifern. Deutschland wurde zum Schauplatz eines Wettlaufs um die Technologieführerschaft, der sich nicht im Weltall, sondern auf der Erde abspielte, was wesentlich zum Kernenergie-Diskurs deutscher Prägung beigetragen hat. Für einen kurzen Moment, so hatte es den Anschein, war man technologisch auf Augenhöhe. Aber die DDR verlor dieses Rennen, was insbesondere beim Ausbau der Kapazitäten nach der Ölkrise vollends deutlich wurde: Die alte

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