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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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Entsprechend anfällig ist er gerade in Deutschland für Mythisierungen aller Art gewesen, wurde mit Fabelwesen und Räubern gleichermaßen künstlich bevölkert, war Rückzugsort für Wilderer und Freidenker, Mutprobe für Abenteurer.
    Kaum ein anderer Ort ist besser dazu angetan, unsere Gefühle in punkto Natur auch heute noch wiederzugeben. Von den Göttern der Germanen, die in den Eichenwäldern ihre Heimstatt fanden, bis zur dunklen Magie der Wälder in den Märchen und Sagen der Romantik, wie sie die Brüder Grimm sammelten: Nichts steht noch immer so symbolisch für unsere Naturliebe. „Alles Deutsche wächst aus dem Wald“, formulierte der Schriftsteller Otto Brües. 122 Der Wald, sagt Elias Canetti, sei für die Deutschen zum Vorbild der Andacht geworden. Denn er zwinge den Menschen aufzuschauen, „dankbar für seinen überlegenen Schutz“. 123
    Über weite Strecken der deutschen Geschichte bis zurück zu den Kreuzzügen behandelte man den Wald darum als ein nationales Heiligtum. Der einsame Baum oder der Klosterfriedhof im Schnee von Caspar David Friedrich: Viele der wesentlichen Kunstwerke der romantischen und spätrealistischen Malerei thematisieren die Bedeutung der Wälder als Ort der Einkehr und Spiegelbild der Seele, die man noch heute bei Besuchen besonders waldreicher Friedhöfe wie dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee, dem größten jüdischen Friedhof Europas, ganz unmittelbar nachempfinden kann. 150000 Tote liegen hier in aller Stille, für die der Wald inmitten der Großstadt sorgt. Das Schweigen des Waldes lautet nicht nur ein berühmtes Bild des Malers Arnold Boecklin aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es ist in einer abgewandelten Form Das Schweigen im Walde auch Titel eines nach demZweiten Weltkrieg verfilmten Romans des bayerischen Schriftstellers Ludwig Ganghofer.
    Gerade im Nationalsozialismus ist der Mythos des deutschen Waldes gepflegt worden, war er doch Ausdruck einer nationalen Identitätssuche, die sich bewusst von der Technik und dem Kultus der Großstadt mit Genussdenken und modernen Massenmedien absetzen wollte. In der nun kommenden Ära, „die nicht mehr zum Zeitalter der kurzsichtig rechnenden Wirtschaft und einer ihr hörigen Technik gehören [wird], sondern zu dem eben jetzt anbrechenden Zeitalter des Lebendigen, wird an die Stelle gleichförmiger öder Forste wieder ein lebendiger Mischwald treten“, heißt es 1938 aus der Feder des frühen Ökologen und Reichslandschaftsanwalts Alwin Seifert im Kontext der großen Infrastrukturprojekte Autobahn- und Industrieanlagenbauten, für die man selbstredend Holz brauchte beziehungsweise Schneisen durch den deutschen Wald zu schlagen hatte. 124
    „Mein Freund der Baum ist tot“, sang nach einer Epoche der ersten Nachkriegswinter, denen städtische Wälder wie der Tiergarten in Berlin zum Opfer fielen, Alexandra im Jahr 1968 am Startpunkt der bundesrepublikanischen Umweltbewegung. Und es klang so existenziell wie der Verlust eines Menschen, dem man sich ein Leben lang hatte anvertrauen können – und den man innig umarmte wie einen Freund:
    „Ich wollt dich längst schon wieder sehn mein alter Freund aus Kindertagen
    ich hatte manches dir zu sagen und wusste du wirst mich verstehn
    als kleines Mädchen kam ich schon zu dir mit all den Kindersorgen
    ich fühlte mich bei dir geborgen und aller Kummer flog davon
    hab ich in deinem Arm geweint strichst du mit deinen grünen Blättern
    mir übers Haar mein alter Freund. […]
    Bald wächst ein Haus aus Glas und Stein dort wo man ihn hat   abgeschlagen
    bald werden graue Mauern ragen dort wo er liegt im Sonnenschein.“
    Ein ähnliches Schema der Verdrängung der grünen Natur durch Glas, Stein und Stahl wird sich Jahre später auch im bereits erwähnten Lied Karl der Käfer und in anderen Erzeugnissen der Popkultur wiederfinden.
Wem der Wald gehört – und warum er ein künstlicher ist
    Kann der Wald auch etwas ganz anderes sein, ein Ort der wirtschaftlichen Nutzung? Oder hat die Beziehung der Deutschen gerade mit den wirtschaftlichen Potenzialen der Wälder zu tun, die sie seit dem Mittelalter zu nutzen verstanden? Man mag darüber streiten, ob die Liebe zu Wäldern hierzulande eine andere ist als in Skandinavien, Österreich oder der Schweiz, den Vereinigten Staaten oder Kanada, die eine industrialisierte Land- und Forstwirtschaft betreiben. Ganz sicher aber wurden die aufkeimenden umweltpolitischen Debatten bis heute immer dann besonders heftig geführt,

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