Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Winkeln hindurch beobachten. Der Alte ließ sich Zeit; in größter Ruhe ging er auf dem Floß hin und her, rückte mit äußerster Sorgfalt Kisten und Warenhäufchen hierhin und dorthin, das alles vor denZuschauern, die tuschelten und ungeduldige Bewegungen machten. Der Alte trat in den Aufbau und kehrte mit einem Stück Stoff, mit Schuhen, einer Schnur von Chaquiraperlen zurück und legte alles ernsthaft, sorgfältig, manisch ordentlich auf die Kisten. Er war sehr mager; wenn der Wind sein Hemd aufplusterte, wirkte er wie ein Buckliger, aber dann plötzlich klatschten Vorder-und Rückenteil gegen seinen Leib, berührten sich fast und enthüllten seine wirkliche Gestalt, zart, äußerst dünn. Er hatte eine kurze Hose an, und Bonifacia konnte seine Beine sehen, so dünn wie seine Arme, die verbrannte, fast schwarze Haut seines Gesichts und die phantastische, seidige weiße Mähne, die bis zu seinen Schultern herunterwallte. Der Alte verbrachte noch eine ganze Weile damit, Haushaltsgeräte und Zierat in vielen Farben herauszutragen und zeremoniös die bedruckten Stoffe aufzuschichten. Das Tuscheln schwoll jedesmal an, wenn der Alte etwas aus der Bughütte brachte, und Bonifacia konnte die Verzückung der Heidinnen und der Christinnen beobachten, ihre faszinierten, begehrlichen Blicke auf die Vogelschrotperlen, Einsteckkämme, Taschenspiegel, Armreife und Puderdöschen, und die Augen der Männer, die auf die am Rand des Floßes neben Konservendosen, breiten Gürteln und Macheten aufgestellten Flaschen starrten. Der Alte betrachtete sein Werk einen Augenblick, wandte sich den Leuten zu, und die kamen tumultartig angerannt, spritzten durch das Wasser und drängten sich um dasFloß. Aber der Alte schüttelte seine weiße Mähne und stieß die Leute mit den Händen zurück. Er fuchtelte mit der Stake wie mit einer Lanze, zwang die Drängenden zurückzuweichen, ordentlich auf das Floß zu klettern. Die erste war die Frau von Paredes. Dick und ungeschickt, gelang es ihr nicht, hinaufzuklettern, der Alte mußte ihr helfen, und sie faßte alles an, roch an den Fläschchen, betastete nervös die Stoffe und Seifen, und die Leute murrten und protestierten, bis sie zum Anlegeplatz zurückkam, im Wasser bis zur Taille, ein geblümtes Kleid, eine Halskette, weiße Schuhe hochhaltend. So kletterten, eine nach der andern, die Frauen auf das Floß. Die einen nahmen sich Zeit und wählten mißtrauisch aus, andere trotzten endlos wegen des Preises, und es gab welche, die forderten weinerlich oder mit Drohungen einen Nachlaß. Aber alle kamen mit etwas in der Hand vom Floß zurück, einige Christen mit Säcken vollgestopft mit Vorräten und einige Heidinnen mit knapp einem Tütchen voll Perlen zum Auffädeln. Als der Anlegeplatz endlich leer war, dunkelte es bereits: Bonifacia richtete sich auf. Der Nieva war in vollem Steigen, gekräuselte und silbrige kleine Wellen liefen unter dem Strauchwerk dahin und verebbten an ihren Knien. Ihr Körper war von Erde verschmiert, Gräser hafteten in ihrem Haar und am Kleid. Der Alte verstaute die Waren, methodisch und genau verteilte er die Kisten am Bug, und über Santa María de Nieva war der Himmel eine Konstellation aus Teer und Uhuaugen, aberauf der anderen Seite des Marañón, über der düsteren Zitadelle am Horizont, widerstand noch ein blauer Streifen der Nacht, und der Mond kam hinter den Gebäuden der Mission zum Vorschein. Die Gestalt des Alten war jetzt ein schwacher Fleck, im Halbdunkel blitzte sein Haar silbrig wie ein Fisch. Bonifacia blickte zum Ort hinüber: in der Gobernación, bei Paredes war Licht, und einige Petroleumlampen flackerten an den Hügeln, in den Fenstern des Hauses, wo die Nonnen wohnten. Die Dunkelheit verschluckte in langsamen Bissen die Cabañas der Plaza, die Capironas, den abschüssigen Pfad. Bonifacia verließ ihr Versteck und rannte geduckt zum Anlegeplatz. Der Schlamm am Ufer war weich und heiß, das Stauwasser schien still, und sie fühlte es an ihrem Körper hochsteigen, und nur wenige Meter vom Ufer entfernt begann die Strömung, eine laue, hartnäckige Kraft, die sie zwang, mit den Armen dagegen anzupaddeln, um nicht abgetrieben zu werden. Das Wasser reichte ihr bis ans Kinn, als sie sich am Floß festhielt und die weiße Hose des Alten sah, den Kranz seiner Mähne: es war schon spät, sie sollte morgen wiederkommen. Bonifacia zog sich ein wenig über den Floßrand hoch, stützte die Ellbogen darauf, und der Alte, über den Fluß gebückt, sah sie
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