Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hinaus, und die Kleine folgt ihm, kommt aber nicht weit, die Oberin nimmt sie beim Arm, und sie versucht nicht, sich loszureißen, senkt nur den Kopf, Don Julio, hatte sie einen Namen? denn man mußte sie taufen. Die Kleine, Madre? Er wußte es nicht, auf alle Fälle hätte sie keinen christlichen Namen, sie sollten einen für sie finden. Er macht eine Verbeugung, verläßt das Wohnhaus, überquert mit langen Schritten den Patio der Mission und hastet den Pfad hinunter. Auf der Plaza angekommen, blickte er auf zu Jum: die Hände über dem Kopf zusammengebunden,hängt er wie ein Senkblei von den Capironas, und zwischen seinen baumelnden Füßen und den Köpfen der Gaffer ist ein Meter Licht. Benzas, Aguila, Escabino sind nicht mehr da, nur noch der Cabo Roberto Delgado und einige Soldaten und alte und junge Aguarunas, die dicht gedrängt in einer Gruppe stehen. Der Cabo tobt nicht mehr, Jum ist auch still. Julio Reátegui blickt zum Anlegesteg hinüber: die Boote schaukeln leer auf und ab, das Ausladen ist beendet. Die Sonne ist roh, senkrecht, von fast weißem Gelb. Reátegui macht einige Schritte auf die Gobernación zu, aber als er unter den Capironas vorbeikommt, bleibt er stehen und sieht noch einmal hoch. Mit beiden Händen verlängert er den Rand des Tropenhelms, aber auch so stechen die aggressiven Strahlen in seine Augen. Nur der Mund ist zu sehen, ist er ohnmächtig? der offen zu stehen scheint, sieht der ihn? wird er noch einmal Piruaner brüllen? wird er noch einmal den Cabo beleidigen? Nein, er schreit nicht, vielleicht ist sein Mund auch gar nicht offen. Vom Hängen ist sein Magen eingesunken und sein Körper langgezogen, man würde ihn für einen schlanken und großen Mann halten, nicht für den untersetzten und dickbäuchigen Heiden, der er ist. Etwas Seltsames geht von ihm aus, so wie er da hängt, still und schwebend, von der Sonne in eine geschmeidige, strahlende Form verwandelt. Reátegui geht weiter, betritt die Gobernación, der Rauch verdickt die Luft, er hustet, drückt Hände, umarmt und wird umarmt.Man hört Scherze und Gelächter, jemand gibt ihm ein Glas Bier in die Hand. Er trinkt es in einem Zug aus und setzt sich. Um ihn herum Gespräche, Christen, die schwitzen, Don Julio, er würde ihnen fehlen, sie würden ihn vermissen. Er sie auch, sehr, aber es war wirklich Zeit, daß er sich wieder mit seinen eigenen Dingen befaßte, hatte alles vernachlässigt, die Plantagen, das Sägewerk, das kleine Hotel in Iquitos. Er hatte hier Geld eingebüßt, Freunde, und war auch alt geworden. Die Politik behagte ihm nicht, sein Element war die Arbeit. Betuliche Hände füllen sein Glas, klopfen ihm auf die Schulter, nehmen seinen Helm entgegen, Don Julio, alle Leute waren gekommen, um ihn zu feiern, sogar die, die jenseits des Pongo lebten. Er war müde, Arévalo, seit zwei Nächten nicht geschlafen und die Knochen taten ihm weh. Er trocknet sich die Stirn, den Hals, die Backen. Mitunter treten Manuel Aguila und Pedro Escabino auseinander und zwischen ihnen wird das Metallgitterchen des Fensters sichtbar, in der Ferne die Capironas der Plaza. Sind die Neugierigen immer noch dort oder hat die Hitze sie schon vertrieben? Jum ist nicht auszumachen, sein erdfarbener Leib hat sich in strömenden Glast aufgelöst oder verschmilzt mit der kupferfarbenen Rinde der Stämme, Freunde: daß der ihnen nicht abkratzte. Wenn er ein gutes Exempel abgeben sollte, mußte der Heide nach Urakusa zurückkehren und den andern berichten, was geschehen war. Der würde nicht verrecken, Don Julio, würde ihm sogarguttun, sich ein wenig zu sonnen: Manuel Aguila? Sollte ja nicht versäumen, ihm die Waren zu bezahlen, Don Pedro, damit es nicht hieße, es wäre Mißbrauch getrieben worden, sie hatten nur Ordnung in die Dinge bringen wollen. Aber natürlich, Don Julio, er würde den Schlawinern die Differenz bezahlen, Escabino wollte nichts weiter, als Handel mit ihnen treiben, wie früher. Sicher, daß man diesem Don Fabio Cuesta vertrauen konnte, Don Julio?: Arévalo Benzas? Wenn nicht, hätte er ihn nicht ernennen lassen. Arbeitete schon seit Jahren für ihn, Arévalo. Ein etwas apathischer Mensch, aber loyal und dienstbereit wie wenige, würden gut mit Don Fabio auskommen, er versicherte es ihnen. Hoffentlich gab’s nicht neue Schwierigkeiten, war schrecklich, wieviel Zeit man darauf verschwenden mußte, und Julio Reátegui fühlte sich schon besser, Freunde: vorhin, als er hereingekommen war, war ihm irgendwie schwindlig
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