Das gruene Zelt
etwas Seltsames geschehen: Ihr Gesicht schien aufgedunsen, und sie bekam schwer Luft. Sie stieß Ilja an, der lange nicht aufwachte, schließlich die Augen öffnete und sich ruckartig aufsetzte.
»Was hast du?«
»Eine Art Anfall. Vielleicht sollten wir den Notarzt rufen?«
Das Notarztteam kam ziemlich rasch, nach zwanzig Minuten. Und stellte ebenso rasch die Diagnose: Quincke-Ödem. Sie gaben Olga eine schnellwirkende intravenöse Spritze, blieben noch zwanzig Minuten bei ihr sitzen, überzeugten sich, dass das Mittel wirkte, und erklärten beim Abschied, schuld an dem Anfall sei höchstwahrscheinlich der Hund. Er müsse sofort aus dem Haus!
Olga wartete bis sieben, rief Tamara an und bat sie mit verschnupfter Stimme, sofort zu kommen. In ihrer Schulzeit hatte Tamara vom Sobatschja-Platz in fünf Minuten zu Olga kommen können, doch nun, von der Molodjoshnaja, brauchte sie an die vierzig Minuten. Tamara überlegte nicht lange und stellte keine Fragen: Wenn es nötig war, war es eben nötig. Sie machte sich schnell fertig und war eine Stunde darauf bei Olga. Im Flur wurde sie von einem mittelgroßen Hund begrüßt. Nein, das nicht – im Flur saß ein Hund und zuckte beim Erscheinen der Besucherin nicht einmal mit dem Ohr. Begrüßt wurde sie von Ilja. Er hängte Tamaras Mantel auf und öffnete die Schlafzimmertür. Der Hund blieb an der Tür sitzen wie eine steinerne Skulptur.
Tamara warf einen Blick auf Olgas geschwollenes Gesicht und fragte erschrocken:
»Was ist passiert?«
»Ach, ein Quincke-Ödem«, winkte Olga ab. »Hör zu, Tamara, die Geschichte ist die: Der Hund gehört den Kulakows. Kennst du sie? Aber du hast natürlich von ihnen gehört? Was? Wirklich nicht? Valentin und Sina Kulakow? Nein, nicht vom Roten Platz! Er ist Philosoph, Marxist, hat eine Zeitschrift herausgegeben. Jedenfalls, sie sitzen seit über einem Jahr, und ihre fünfzehnjährige Tochter ist jetzt allein. Na ja, jetzt ist sie sechzehn, aber stell dir das vor … Wenigstens haben sie sie nicht ins Heim gesteckt. Erst war sie bei ihrer Tante, aber das Mädchen ist ziemlich eigensinnig, nach einer Woche ist sie von der Tante abgehauen und seither lebt sie allein. Wir haben gemeinsame Bekannte, keine sehr engen. Sie haben uns gebeten, weil das Mädchen nach Petersburg fährt und niemanden hat, der sich um den Hund kümmert, ob wir ihn nicht solange nehmen könnten. Wir haben natürlich ja gesagt. Gestern ist sie hier aufgetaucht – praktisch von der Straße. Mit dem Hund. Aber wie sich herausstellt, habe ich eine Allergie gegen Hundehaare, du siehst ja. Wir könnten ihn auf die Datscha bringen, aber das erlaubt meine Mutter garantiert nicht. Sie stammt doch vom Land, verstehst du? Für sie ist ein Hund im Haus Nonsens. Aber ihn draußen lassen – wir haben nicht mal eine Hundehütte! Der Hund würde weglaufen und verlorengehen. Und das darf er auf keinen Fall.«
Tamara schwieg. Sie war nicht vom Land, sie betrachtete Hunde nicht als Nonsens, aber da sie in einem medizinisch-biologischen Forschungsinstitut arbeitete, sah sie Hunde meist nur in Käfigen oder im Vivarium. Zu Hause hatten sie nie Tiere gehalten. Tamaras Mutter hatte panische Angst vor Hunden und mochte keine Katzen. Als die Großmutter noch lebte, hatten sie einen alten Kater gehabt, Marquis, sich aber nach ihrem Tod keine Haustiere mehr angeschafft.
»Deshalb, Tamara, nimm diesen Hund bitte erst mal zu dir, sein Frauchen kommt ja bald wieder. Der Hund ist ein Mädchen und heißt Gera.«
»Solange meine Mutter noch zur Kur ist, kann ich ihn behalten, Olga, aber nicht länger«, erklärte Tamara überraschend bestimmt.
»Und wann kommt Raissa Iljinitschna zurück?«
»In drei Tagen.« Tamaras Stimme klang noch immer bestimmt.
Olga schniefte und küsste Tamara auf das gewellte Haar.
»Ach, auf dich kann ich mich immer verlassen, Tamara. Auf dich und auf Galja – sonst auf niemanden! Behalt ihn, bis deine Mutter wieder da ist, und dann lassen wir uns was einfallen.«
»Vielleicht fragen wir Galja? Vielleicht nimmt sie den Hund?« In Tamaras Augen leuchtete Hoffnung auf.
»Du hast Ideen! Das ist nicht irgendein Hund, das ist ein Dissidentenhund. Sozusagen ein marxistischer Hund! Und den in die Höhle eines KGB-Mannes!« Olga lachte fast wieder mit ihrer normalen hellen Stimme. »Außerdem ist Galja im Urlaub.«
Der Transport erwies sich als nicht so einfach. Gera wollte um keinen Preis in Iljas Moskwitsch steigen. Sie saß ungerührt vor der offenen Tür und
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