Das gruene Zelt
man. Ich werde renovieren. Die Jungs helfen mir.«
»Ach was, renovieren …« Aljona seufzte, und eine schwere Trauer legte sich wie eine Regenwolke auf sie.
Ihr verheirateter Geliebter hatte sich mit ihr in einem sehr ähnlichen Zimmer getroffen – ein ebensolcher runder Tisch mit Plüschdecke, darüber ein ebensolcher Kronleuchter ohne Kristallgehänge und das Foto einer schönen Frau mit Stirnlocke, nur ohne Fächer in der Hand. Sie schaute auf die beiden Bücherborde – auch die Bücher waren die gleichen, nur waren es dort viel mehr. Außerdem war das Zimmer dreimal so groß gewesen und mit einem Vorhang in zwei Hälften geteilt …
Micha fühlte mit Leib und Seele, wie er die niedergeschlagene Aljona trösten konnte, scheute sich jedoch, sie zu berühren. Ihm fehlte der Mut, er wartete auf ein Zeichen von ihr. Sie kam zu ihm und streichelte ihm den Kopf, senkte ihre Finger tief in seine roten Zotteln. Er war erleichtert, denn eben noch war er überzeugt gewesen, dass er, der Schwätzer und Schlehmil mit all seinen Fehlern, nicht zu Aljona passte, dass sie ihn nicht heiraten würde, ja, eine solche Null nicht einmal ansehen mochte.
Sie fühlte etwas Ähnliches, strich ihm aber übers Haar und sagte immer wieder:
»Micha, du bist schrecklich gut. Viel zu gut für mich.«
Sie wusste schon, dass all diese Gedanken gleich hinfällig sein würden, dass Micha nicht nur ein lieber und reiner Mensch war, sondern auch der zuverlässigste, treueste und zudem beste all ihrer Liebhaber. Nur jener Verheiratete, der stets ein wenig betrunken war, ließ sie nicht los … Was fesselte sie nur so an ihm?
Das bucklige Sofa quietschte mit seinen Sprungfedern und hielt sich tapfer die ganze Nacht und den halben nächsten Tag. Alle nebensächlichen, bedrückenden Gedanken waren wie weggeblasen aus ihren jungen Köpfen, und als sie zu sich kamen, empfanden sie eine klingende Leere, fühlten sich schwerelos und wie Sieger in einem Kampf.
Michas Glück war riesig, es schien fürs ganze Leben zu reichen. Am Tag, wenn Aljona bei Micha war, fühlte sie sich leicht, doch voller Angst wartete sie auf den Abend. Sie schlief mühelos und rasch ein, wachte aber von unerträglichen nächtlichen Qualen nach einer Stunde wieder auf. Gegen Morgen schlief sie wieder ein, und wenn sie endgültig erwachte, wunderte sie sich über die Heftigkeit und Tiefe ihres nächtlichen Schmerzes, der tagsüber nachließ.
Sie mussten etwas tun, und eines Tages, nach einer solchen quälenden Nacht, gingen sie zum Standesamt und beantragten die Eheschließung. Zurück bei Micha auf dem Tschistoprudny-Boulevard, brachten sie die restliche Habe seiner Tante, die selbst ihre sparsamen Schwestern verschmäht hatten, auf den Müll. Die traurigen Überreste eines unscheinbaren Lebens: mit gelbem Klebstoff reparierte Teller, Töpfe ohne Griffe, leere Lippenstifthülsen, alte Zeitungen, Lumpen, Lappen, Läppchen, ein halber Porzellanbär, ein Maifähnchen.
Am Abend kamen Ilja und Sanja und halfen Micha, die schweren Möbel hinauszuschleppen – das Büfett, den Schrank, das Sofa der Tante.
Aljona wischte den Boden und spürte: In diesem leeren Zimmer konnte sie bleiben. Einige Nächte verbrachten sie auf dem Fußboden, auf einem ausgebreiteten Schlafsack, und Aljona schlief fest und traumlos, eng umschlungen von Micha, und sie hatte das Gefühl, die ganze Zeit auf dem Arm getragen zu werden.
Während sie das Zimmer renovierten, zogen sie für ein paar Nächte zu den Tschernopjatows. Sergej Borissowitsch, der seine Tochter abgöttisch liebte, war traurig darüber, dass sie zu Hause ausziehen wollte, und seine Frau sprach sogar davon, ob sie nicht versuchen sollten, ihre Zweizimmerwohnung und Michas Zimmer gegen eine Dreizimmerwohnung zu tauschen, doch das wollte Aljona nicht.
Sie wollte so schnell wie möglich ihr neues Zuhause in Besitz nehmen. Sobald es nicht mehr nach Farbe roch, zogen sie in das saubere, leere Zimmer, das keine Vergangenheit zu haben schien, bis auf den Blick aus dem Fenster: ein zugemüllter Hof, der vom fünften Stock aus jedoch weniger übel aussah.
Vom früheren Leben waren nur zwei Pappkartons, ein Haufen Bücher und ein Bündel mit alten Briefen geblieben, das sie auf dem Boden des schiefen Schrankes entdeckt hatten. Marlen hatte sie gebeten, sie aufzuheben, er würde kommen und sie abholen. Aljona brachte eine Staffelei mit, die sie am Fenster aufstellte, was dem Zimmer eine künstlerische Note verlieh, einen Arbeitstisch mit
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