Das gruene Zelt
schräger Platte, angefertigt von Sergej Borissowitsch, und fünf große Mappen mit alten, genauer drei Jahre alten Arbeiten, meist raffinierte Ornamente.
Die Jungvermählten feierten zwar keine Hochzeit, bekamen aber trotzdem Geschenke von Marlen, von Aljonas Eltern und von einer Tante – in einfallsloser, aber nützlicher Gestalt: Geld. Aljona klapperte nach dem Unterricht die Geschäfte ab, kaufte neue Teller und neue Kissen und freute sich still an ihrem neuen Leben. Ihre Herzenswunde verheilte zwar nicht, schmerzte aber unter Michas unerschöpflicher Zärtlichkeit und geschäftiger Leidenschaft kaum noch.
Und genau da endete Michas Glückssträhne. Jakow Petrowitsch bestellte ihn zu sich und sagte ihm, dass aus der Doktorandenstelle nichts würde, die Kaderabteilung habe abgelehnt. Doch ihre Zusammenarbeit würden sie trotzdem fortsetzen.
»Wir werden das Dissertationsthema besprechen, aber es wird kein leichter Weg, das muss ich Ihnen gleich sagen.« Das klang nicht ganz wie ein Schlusspunkt, sondern wie drei Pünktchen.
Am Ende desselben Monats kündigte Micha auf Bitten der Direktorin im Internat. Sie bat ihn um Verzeihung, weinte und rechtfertigte sich damit, dass es für sie das Wichtigste sei, das Internat zu erhalten, die Zukunft ihrer vierzig Zöglinge nicht zu gefährden.
Micha, inzwischen klüger geworden, stellte nur eine Frage:
»Sie haben einen Anruf bekommen?«
Margarita Awetissowna nickte.
Es gab nur eine Erklärung: Sie hatten ihn nun im Visier. Micha schrieb eine Kündigung »auf eigenen Wunsch«. Die in einem solchen Fall übliche Frist von zwei Wochen sollte er sich freinehmen und eine neue Arbeit suchen. Nach zwei Wochen kam er seine Papiere abholen und sich von den Kollegen verabschieden. Alle wirkten verlegen, Gleb Iwanowitsch war nicht da.
Als Micha nach ihm fragte, hieß es, er sei in eine psychiatrische Heilanstalt eingeliefert worden.
Micha empfand eine gewaltige Leere und hatte zugleich das sonderbare Gefühl, dass nun ein ganz anderes Leben begann – auf diesem leeren Fleck musste etwas völlig Neues wachsen.
Der Miljutin-Garten
Niemand kennt das Geheimnis, das Gesetz der unwiderstehlichen Kraft, die einen bestimmten Mann zu einer bestimmten Frau zieht. Der Prediger Salomo kannte es jedenfalls nicht. Mittelalterliche Legenden liefern eine gewisse Erklärung – Liebestränke. Also Gift. Wahrscheinlich das gleiche Gift, mit dem der allmächtige Eros seine operettenhaften Pfeile tränkte. Die Menschen der Neuzeit finden die Erklärung in den Hormonen, die den Instinkt der Arterhaltung steuern. Natürlich existiert zwischen dieser praktischen Aufgabe und der platonischen Liebe eine gewisse Kluft, sogar, modern ausgedrückt, eine kognitive Dissonanz. Der handfeste Zweck der Arterhaltung wird mit allen möglichen rituellen Schnörkeln kaschiert, mit Hochzeitssträußen, Popen, Stempeln mit Wappentier und so weiter, bis hin zum demonstrativ präsentierten blutbefleckten Laken. In diesem Sinne ist mit der Liebe alles mehr oder weniger klar.
Doch was ist mit der Freundschaft? Sie wird von keinem Urinstinkt gestützt. Sämtliche Philosophen der Welt (selbstredend Männer, Philosophinnen gab es vor Piama Gaidenko nicht, wenn man von der legendären Hypatia absieht) siedeln sie in der Hierarchie der Werte ganz oben an. Aristoteles liefert eine wunderbare Definition, die bis heute makellos scheint, im Gegensatz zu vielen anderen seiner Ideen, die heute veraltet sind. Also – »die Freundschaft ist eine Tugend oder mit der Tugend verbunden. Ferner ist sie fürs Leben das Notwendigste. Ohne Freundschaft möchte niemand leben, hätte er auch alle anderen Güter.«
Die Freundschaft dient keinem Zweck, sie besteht ausschließlich in der Suche des Menschen nach einer verwandten Seele, um mit ihr seine Gefühle, Gedanken und Empfindungen zu teilen, bis hin zur Bereitschaft, »sein Leben zu lassen für seine Freunde«. Doch die Freundschaft muss man ständig nähren, muss ihr Zeit opfern: Mit dem Freund zum Beispiel den Roshdestwenski-Boulevard entlangschlendern, mit ihm Bier trinken, auch wenn man selbst andere Getränke bevorzugt, zum Geburtstag seiner Großmutter gehen, die gleichen Bücher lesen wie er und die gleiche Musik hören, damit am Ende jener anheimelnde, warme kleine Raum entsteht, in dem für einen Scherz eine Andeutung genügt, für einen Meinungsaustausch ein Blick, und in dem die Beziehung zwischen den Freunden so intim ist, wie sie mit einem Geschöpf des anderen
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