Das gruene Zelt
Sündenfall mit der Treue zu seinem russischen Freund und dessen Interessen. Übrigens schmälerte das Erzwungene der Situation das Angenehme daran nicht.
»Wenn du Sanja richtig heiratest, hast du bei mir Schulden – für die Tickets und das Hotel!«
»So ein Blödsinn! Was du ausgegeben hast, ist weg! Ich werde dich für die Sprachstunden bezahlen.«
»Schön, wenn die Sache gelingt und wir Sanja da rausholen, gehen die Tickets und das Hotel auf mich!«
Zum Schluss küssten sie sich träge noch ein wenig.
»Und ich habe jetzt einen zusätzlichen Anreiz, ihn aufzutauen!« Debby lächelte selbstzufrieden.
Die Hochzeit fand wie vorgesehen im Mai statt, an einem regnerischen Tag, was den Brautleuten Reichtum verhieß, wie der Volksglaube frech behauptet.
Debby O’Hara trug ein prächtiges weißes Kleid. In der Hand einen runden künstlichen Hochzeitsstrauß, aus Amerika eingeflogen. Weiße Schuhe mit hohen Absätzen. Sanja eine schwarze Cordjacke mit Reißverschluss und alte Jeans.
Eugene, in Tweedjackett und mit Krawatte, hätte viel besser in die Rolle des Bräutigams gepasst. Olga, Ilja und Tamara waren auch da, bescheiden in ihre besten Stücke gekleidet.
Braut und Bräutigam stellten sich nebeneinander, Eugene fotografierte sie. Auf der anderen Seite fotografierte Ilja.
Sie betraten eine kleine Vorhalle, den Wartesaal der Brautleute. Dort saßen bereits mehrere Paare: zwei Afrikaner mit Blondinen, ein Araber mit einem orientalisch aussehenden Mädchen, mehrere osteuropäische Paare, Tschechen oder Polen. Die Warteschlange.
Stumm sitzen sie da. Sanja betrachtet die Gesichter der Heiratswilligen. Die Afrikaner kommen vermutlich vom Patrice-Lumumba-Institut. Einer, ein schöner Mann mit lila schimmernder Haut, will mit seiner Braut Karten spielen. Sie lehnt ab. Er legt eine Patience. Der zweite, klein und hässlich, hält die Hand der Braut: Ihn rührt die Weiße ihrer Haut. Er streicht mit dem Finger über ihr Handgelenk. Der Araber ist älter, schwer zu sagen, was er in Moskau macht, seine Hände sind voller Goldringe, auch seine Braut ist mit Gold behangen, und offensichtlich zieht es die beiden mit Macht zueinander. Er legt ihr die Hand abwechselnd auf die Taille und auf die Schulter. Sie schmilzt dahin. Der Tscheche oder Pole liest Zeitung. Tschechisch, registriert Sanja.
Debby ist nervös. Sanja redet auf sie ein, um sie zu unterhalten. Schließlich werden sie in einen länglichen Raum gerufen. Ein roter Teppich führt zu einem Tisch, daran sitzt eine präsentable Dame mit einer breiten roten Schärpe über der Schulter – eine kleinere Version des roten Teppichs. Durch die andere Tür werden die Trauzeugen eingelassen, Olga und Ilja, und die Gäste, Tamara und Eugene mit seinem Fotoapparat. Unterwegs wehren sie den hauseigenen Fotografen ab. Den obligaten Mendelssohn haben sie schon vorher abgewehrt.
Dann geht das seltsame Theater los. Die Frau mit der Schärpe steht auf. Verkündet:
»Die Bürgerin der Vereinigten Staaten von Amerika Debora O’Hara und der Bürger der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Alexander Steklow haben gemäß den Gesetzen unseres Landes die Eheschließung beantragt …«
Debby möchte eine richtige Hochzeit. Sanja möchte verschwinden. Debby möchte eine Hochzeitsreise. Sanja möchte vom Erdboden verschluckt werden. Debby möchte eine Hochzeitsnacht. Sanja möchte für immer und ewig vom Erdboden verschluckt werden.
Olga richtet zu Hause eine kleine Hochzeitsfeier aus.
Debby hat in den letzten Monaten ein wenig Russisch gelernt. Sie redet ununterbrochen. Sanja schweigt – auf Russisch und auf Englisch. Gegen Abend bekommt er Fieber und heftige Kopfschmerzen.
Ilja bringt ihn nach Hause. Sanjas Mutter macht alles, was seine Großmutter in solchen Fällen gemacht hat: Sie legt ihm ein nasses Handtuch auf den Kopf, gibt ihm süßen Tee mit Zitrone und zwei Citramon. Wie immer in solchen Fällen steigt Sanjas Temperatur auf fast vierzig Grad. Seine Mutter tut weiter alles, was die Großmutter in solchen Fällen tat: reibt ihm Brust und Schultern mit Wodka ab und frottiert sie dann lange mit einem Wolltuch. Nur hat die Großmutter all das viel besser gemacht.
Sanja ist die gewohnten drei Tage krank. Debby verbringt diese drei Tage in Olgas Wohnung. Den ersten Tag heult sie, den zweiten schwatzt sie von morgens bis abends lebhaft mit Olga. Am dritten Tag bringt Ilja sie nach Scheremetjewo. Sanja liegt fiebrig und selig auf Anjutas Liege.
Die Farce mit dem
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