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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Titel »Heirat« geht zu Ende. Bleibt nur noch eine Kleinigkeit: in der amerikanischen Botschaft ein Visum beantragen und warten, warten, warten.
    Acht Monate später flog Alexander Steklow nach New York. Pierre Sand holte ihn am Kennedy-Airport ab.
    Debby sprach inzwischen wunderbar Russisch. Mit Sanja traf sie sich nach anderthalb Jahren, bei einem Anwalt, als sie einen richtigen Bräutigam gefunden hatte, einen Russen übrigens, und eine richtige Scheidung brauchte, um eine richtige Ehe schließen zu können.
    Die fünftausend Dollar, die sie für die ganze Geschichte hatte bekommen sollen, wollte sie nicht. Auch auf den Pelzmantel verzichtete sie. Doch den bekam sie am Ende doch: Pierre hatte den Nerz zu einer Pelzaufbewahrung in Palo Alto gegeben und schenkte ihn Debby zu ihrer zweiten Hochzeit. Da war sie bereits nach New York umgezogen, und dort herrschen im Winter manchmal Temperaturen, die einen Pelzmantel rechtfertigen.
    In New York lebt auch Sanja – er unterrichtet an einer weltberühmten Musikschule theoretische Fächer. Ende gut, alles gut!

Epilog:
Das Ende einer schönen Epoche
    Sie trafen sich. Begrüßten sich – rechte Wange an rechte Wange, linke an linke. Praktischerweise waren sie gleich groß. Die Frau hatte ein schmales Gesicht mit Höckernase, der Mann war stupsnasig und hatte breite Wangenknochen. Der Regen färbte sich plötzlich weiß und wurde zu Schnee. Der Wind wehte aus West und Ost zugleich und bildete genau über ihrem Treffpunkt einen Wirbel. Von der Bucht her roch es nach feuchter Kälte, von der anderen Seite, vom Fluss her, ein wenig faulig.
    »Merkst du das, Sanja? Es riecht nach Tschistyje prudy!«
    »Kein bisschen, Lisa. Es riecht überhaupt nicht.«
    Er strich ihr übers Haar – es fühlte sich sehr kalt an.
    »Komm, gehen wir. Frierst du?«
    »Noch nicht. Aber es ist hundekalt.«
    »Ich habe dir die Sonate Nr. 32 überspielt, aus Eschenbachs Konzert 1986 in Madrid. Damit du verstehst, was ich gemeint habe.«
    Er zog eine in Folie eingeschweißte Kassette aus der Tasche und gab sie ihr.
    »Danke, Sanja. Ich streite ja im Grunde gar nicht mit dir. Aber Eschenbach haspelt immer ein wenig. Richter hat eine ganz andere Artikulation. Viel klarer …«
    Sie hatten sich vor anderthalb Jahren zum letzten Mal gesehen, in Wien, wo Sanja ihr Konzert besucht hatte. Jetzt, auf dem Weg zu dem Haus, in das sie eingeladen waren, setzten sie ihr Gespräch an dem Punkt fort, wo sie es in Wien unterbrochen hatten.
    Maria öffnete ihnen.
    Der übliche Kuss in die Luft.
    »Guten Abend. Anna ist krank. Ich habe ihr hier unten das Bett gemacht. Legt bitte hier ab und geht gleich hoch. Ich komme bald nach.«
    Sie war wie immer ein wenig kühl und distanziert. Außerdem war das Kind krank, das war ein Grund zur Sorge.
    Der Ausschnitt ihres blauen Kleides entblößte ihre vorspringenden Schlüsselbeine. Kostbare venezianische Glasperlen rollten bei jeder Bewegung darauf hin und her.
    »Scheußliches Wetter?«
    »Schlimmer geht’s kaum. Windig, kalt und feucht«, antwortete Sanja.
    »Mich holt dieses Wetter dieses Jahr überall ein, mein Gastspielplan scheint mit irgendeinem Zyklon zusammenzufallen. In Mailand, in Athen, dann in Stockholm und in Rio – überall erwische ich Schneeregen. Seit Mitte November.«
    Der Hausherr hatte ihre Stimmen gehört und kam ihnen entgegen. Die Treppe war ziemlich schmal, deshalb blieb er lächelnd in der Tür stehen.
    Sie stiegen hinauf. Sanja warf einen Blick auf den Tisch – dort lag eine aufgeschlagene Anthologie römischer Dichter. Sie stimmten mal wieder überein, wie so oft. Bei Sanja lag ein aufgeschlagener Band Ovid.
    »Kommen Sie, kommen Sie. Sehen Sie, Lisaweta, es ist uns vergönnt, uns noch einmal zu begegnen.«
    Sie küssten sich.
    »Diesen Satz höre ich von Ihnen schon seit zwanzig Jahren. Sagen Sie das, damit ich unsere Begegnungen mehr schätze? Ich schätze sie auch so.«
    »Nein, damit gebe ich zu verstehen, dass wir keine weiteren zwanzig Jahre haben«, parierte der Hausherr.
    In der Hand hielt er eine Zigarette, die er nach dem Begrüßungskuss sofort anzündete.
    »Sie haben das Rauchen nicht aufgegeben?«
    »Nein, die Zigaretten gebe ich nicht auf. Warten wir noch ein Weilchen, dann werden sie mich aufgeben!«
    »Sie wollten doch aufhören!«, sagte sie mit der klagenden Stimme einer alten Tante. »Sie verkürzen Ihre letzten zwanzig Jahre!«
    Der Hausherr lachte.
    »Aber ich verkürze sie vom hinteren Ende. Vielleicht ist das gar nicht so

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