Das gruene Zelt
erschütterte. Das kindlich reine Mädchen geriet an der Uni unter verderblichen Einfluss, und als ein Dozent, ein heimlicher Antisowjetschik und selbstredend Volksfeind, eingesperrt wurde wegen einer Schmähschrift, die er im Ausland veröffentlicht hatte, unterschrieb sie zusammen mit einigen Kommilitonen, irregeleiteten Dummköpfen, einen Brief zu seiner Verteidigung. Und wurde zusammen mit den übrigen Protestlern von der Uni geworfen. Antonina Naumowna bereute, dass sie die Tochter an die Universität geschickt hatte, aber es war zu spät. Wenn Olgas mutiger Vater gewusst hätte, dass dieses ehrenvolle Studium so enden würde, wären ihm bestimmt die Worte in den Sinn gekommen: »Wer sein Wissen mehrt, der mehrt seinen Schmerz.« Aber er kannte das Buch der Prediger nicht, und darum sagte er, als das verderbliche Universitätsstudium das Schicksal der Tochter so dramatisch veränderte, voll Bitterkeit zu seiner Frau:
»Das hast du nun von der Universität. Ich hab gleich gesagt, was Schlichteres wäre besser, näher am Volk. Jetzt ist sie ganz wirr im Kopf. Hättest du sie Ingenieur werden lassen, dann hätte sie nicht solchen Mist aufgesogen. Das Mädchen ist uns entglitten.«
Damit hatte Afanassi Michailowitsch womöglich recht. In der Universität herrschte von jeher geistige Unruhe, und die verurteilte der General nicht aus parteilichem Pflichtgefühl, sondern aus innerster Überzeugung.
»Die tun alle so klug«, sagte er sich jedes Mal verärgert, wenn er auf etwas stieß, das er nicht verstand. Immer öfter verstand er seine Tochter nicht mehr. Selbst über einfache Dinger redete sie neuerdings so geschwollen, als wollte sie ihren Vater absichtlich verwirren. Der Schwiegersohn, das musste man ihm lassen, teilte Olgas Ansichten nicht. Hin und wieder stritten die beiden – über Politisches, denn andere Probleme hatten sie nicht, es war ja alles da: eine Kinderfrau, eine Datscha, Sonderversorgung mit Lebensmitteln … Das Ganze endete damit, dass Wowa kurz nach Olgas Rausschmiss von der Uni die Tür hinter sich zuschlug und wieder zu seinen Eltern zog.
Hätte Olga auf ihre Eltern gehört und auf der Versammlung öffentlich bereut, ein bisschen geweint und die Erklärung geschrieben, die man von ihr verlangte, wäre es nicht zum Rausschmiss gekommen. Aber sie war, wie gesagt, ehrlich und prinzipientreu – das hatten die Eltern ihr von klein auf anerzogen – und weigerte sich darum strikt, zu bereuen, Fehler zu bekennen und den Schurken-Dozenten zu verleumden, der ihr Diplombetreuer war.
Der Dozent wurde Anfang September verhaftet, Olga wurde Ende des Monats zum ersten Verhör bestellt, und das ehrliche Mädchen sagte die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Was denn sonst? Und die Wahrheit war, dass ihr Dozent ein herausragender Wissenschaftler war, dass er viele Erscheinungen des sowjetischen Lebens kritisch sah, und zwar zu Recht, und dass sie, seine Schülerin, seine Ansichten über die Literatur und das Leben vollkommen teilte. Ihre Aussagen schadeten dem Verhafteten nicht sehr, doch für die Fehler der Tochter mussten die Eltern büßen. Afanassi Michailowitsch wurde zu einem strengen Gespräch an einen geheimen Ort bestellt, kassierte einen heftigen Rüffel, reichte bald darauf seinen Abschied ein und zog auf die Datscha. Tief im Innern war er sogar froh über diese Veränderung: Es war schön draußen im Grünen, und er übte sich dort in dem ererbten Handwerk. Er hegte zwar noch immer einen leisen Groll gegen seine Tochter, ließ sich aber von der familiären Unannehmlichkeit weder die Stimmung noch den Blutdruck verderben. Zumal er seinem Kummer noch woanders Luft machen konnte.
Antonina Naumowna verübte einen Präventivschlag: Noch bevor die Obrigkeit ihr den Kopf waschen konnte, weil sie ihre Tochter so schlecht erzogen hatte, veröffentlichte sie in ihrer Zeitschrift einen zornigen Artikel über die Hetzschrift des ehemaligen Dozenten und ließ sich als gesellschaftliche Anklägerin in dem politischen Prozess gegen ihn verpflichten. Damit war das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Tochter endgültig gestört.
Olga lebte nun zu Hause wie eine Fremde. Sie erzählte nichts von sich, kam und ging, wie es ihr beliebte, kümmerte sich hin und wieder um Kostja und verschwand erneut für ein, zwei Tage. Im Februar begann die Gerichtsverhandlung gegen den Dozenten und seinen Freund, einen ebenso tollkühnen Autor, der seine Manuskripte in den Westen geschickt hatte, und Olga lief zum
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