Das gruene Zelt
verblasst. Sie war heiter, ganz wie früher, leistete ihrem Vater ohne Zögern bei seinem Gläschen vor dem Essen Gesellschaft und teilte mit ihm die Mahlzeit. Anschließend setzte sie sich mit untergeschlagenen Beinen in einen Ledersessel mit Aluminiumschild auf der Rückseite – auf der Datscha standen noch Reste der staatseigenen Möbel, die der General mitsamt der Datscha selbst seiner Behörde für ein paar Kopeken abgekauft hatte. Olga wählte also das ihr von klein auf vertraute alte Monstrum und nicht eines der von ihrem Vater aufgearbeiteten Stücke, die sämtlich aus Holz waren und deshalb ungeeignet zum Hineinschmiegen und Kuscheln und die alle aus dem bewussten Antiquitätengeschäft stammten.
»Papa«, sagte Olga zärtlich, »ich möchte eine Weile bei dir auf der Datscha wohnen. Ich würde auch Kostja herholen, was meinst du?«
Afanassi Michailowitsch freute sich und ahnte nichts Böses.
»Natürlich kannst du hier wohnen, so lange du willst, das ist doch keine Frage! Aber was ist mit der Arbeit? Ohne Auto wird das schwierig …«
Der Weg in die Stadt war kompliziert: Bis Nachabino mit dem Bus, der nicht nach Fahrplan fuhr, sondern nach Lust und Laune, und von Nachabino mit der Vorortbahn bis zum Rigaer Bahnhof.
»Das macht mir nichts«, entgegnete Olga lachend. »Ich gehe nicht zur Arbeit, sondern zum Unterricht.«
Afanassi Michailowitsch freute sich – seine Frau hatte ihm nicht gesagt, dass Olga wieder studierte. Doch das Missverständnis klärte sich sofort auf: Olga ging nicht wieder zur Uni, sie besuchte einen Sprachkurs, merkwürdigerweise Spanisch. Zum Unterricht musste sie nur abends, und auch das nicht jeden Tag, und ihr Studium wollte sie nicht fortsetzen.
Afanassi Michailowitsch überlegte, warum seine Tochter zu ihm ziehen wollte, wie seine Frau das finden würde und ob er sich nicht erst mit ihr absprechen und ihr Einverständnis einholen müsste. Aber da lieferte Olga schon selbst die Erklärung.
»Vielleicht wird auch mein Freund eine Weile hier wohnen.«
Dem alten General blieb vor Empörung die Luft weg. Erst ließ sie sich scheiden, ohne zu fragen, nun hatte sie einen Liebhaber, wollte ihn hier einziehen lassen und er, ihr Vater, sollte das auch noch erlauben! Doch nach kurzem Schweigen winkte er ab.
»Ach, leb, mit wem du willst, was geht’s mich an …«
Er zog die Brauen zusammen und entfernte sich zu seiner obligaten Therapie – dem Mittagsschlaf.
Einige Tage darauf kam ein alter Pobeda auf das riesige Generalsgrundstück gefahren, und heraus purzelten Kostja in einem Ziegenfellmantel, ein großer Hundewelpe, der ebenfalls nach Ziege aussah, Olga mit einem Bücherstapel im Arm und ein großer, lockenköpfiger Mann mit Skiern. Die Fenster der Werkstatt, in der Afanassi Michailowitsch seine Holzmöbel bearbeitete, gingen zur anderen Seite hinaus, so dass er nicht sah, wie sie auf das Haus zuliefen, wobei sie sich gegenseitig schubsten, stolperten und Handschuhe und Bücher in den Schnee fallen ließen. Als es klingelte, ging er zur Tür, öffnete und erblickte, wie es ihm nach der gewohnten Einsamkeit auf der Datscha vorkam, eine ganze Horde. Kostja kreischte, der Hund bellte, Olga lachte übertrieben laut, und sie alle überragte ein großer, schlaksiger Kerl, der – das begriff der General a. D. sofort – die Wurzel allen Übels war.
Die Wurzel stellte sich als Ilja Brjanski vor. Er reichte dem General seine knochige, fleischlose Hand und roch nach Tabak, einer vertrauten Chemikalie und verborgener Feindseligkeit. Auch Olga strömte einen neuen Geruch aus – herausfordernd und fremd. Nur der Enkel Kostja und sein unprätentiöser Hund waren ihm vertraut. Aber Afanassi Michailowitsch vertiefte sich nicht weiter in die Analyse seiner Empfindungen. Er küsste Tochter und Enkel und ging hinauf in den ersten Stock, werkeln. Der Geruch nach Politur, Leim und Holzstaub war für ihn heilsamer als Baldrian. Er griff zum feinsten Schleifpapier und bearbeitete die Seitenwand eines Sessels, befreite sie vom beleidigenden Lack, und seine Hand genoss die geschmeidige Krümmung des Schnörkels, der die Armlehne stützte.
Von unten drangen Lachsalven, Prusten und lautes Gelächter, das in Stöhnen und Quieken überging – Laute, die überhaupt nicht zu dem stillen, prüden Haus passten.
Nein, das ist doch schamlos: Kommt einfach mit ihrem Liebhaber und ihrem kleinen Sohn her und tut, als wäre nichts dabei, verurteilte der General seine Tochter.
Sie führten getrennte
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