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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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frische Bluse – die hatte Schura ihr vorsorglich gebügelt. Diesmal hatte sie keinen BH darüber, dafür einen Haufen Papierketten aus Fetzen der Zeitschrift Amerika . Ihre Finger mit den unschönen Nägeln strotzten vor billigem Silber und wertlosen Steinen, ihr Rock war blau und kurz. Die neue Strumpfhose, die ihr Finne Vinar ihr zur Hochzeit mitgebracht hatte – eine ganze Packung, ein Dutzend! –, hatte an der Wade eine breite Laufmasche.
    Die Schwestern küssten sich noch einmal, und die Füchsin rief Schura noch letzte Anweisungen nach.
    Anderthalb Stunden später durchlief die Füchsin an der sowjetisch-finnischen Grenze die Zollkontrolle. Zuerst kamen die sowjetischen Zöllner, kippten den Koffer und die Tasche aus. Die Füchsin, noch immer betrunken, zog einen Packen Fotos hervor, zeigte den Zöllnern ihre Mutter, ihren Vater, ihre ältere Schwester, Jagdtrophäen und Landschaftsaufnahmen aus dem Fernen Osten. Devisen hatte sie nicht dabei, ihr russisches Geld – das gesamte! – hatte sie ihrer Schwester gegeben. Ihre Papiere waren in Ordnung – der nagelneue Reisepass, das Visum, die Heiratsurkunde. Die Grenzer belächelten sie gutmütig – ein komisches Vögelchen! Eine Prostituierte, die ihr finnisches Glück gefunden hatte.
    Der eine, eher von lockerer Moral, griff ihr sogar an den dürren Hintern, und sie lachte laut. Der zweite, ältere, gab ihr einen väterlichen Rat:
    »Hör zu, meine Liebe, pass dort auf mit dem Alkohol. Die Finnen sind alle Säufer, trotz Alkoholverbot!«
    Der Zug kroch über die Grenze – sie war unauffällig, hüben wie drüben schütterer, reizloser Wald, kahle Stellen, Felsbrocken.
    Dann hielt der Zug. Die finnischen Grenzer und Zöllner kamen, das Ganze wiederholte sich, nur kippten sie den Koffer nicht aus. Und es ging wesentlich schneller. Die Finnen verschwanden, der Zug fuhr an. Die Füchsin ging mit schaukelndem Gang, ihre Handtasche mit dem dünnen Riemen schwenkend, zur Toilette. Sie hängte die Tasche an einen Haken. Schaute in den Spiegel, gefiel sich nicht und streckte sich die Zunge heraus. Dann hockte sie sich über die Toilettenschüssel, zog aus einem intimen Ort ein Röllchen, weit dünner als das, was sonst dort hineinpasste, und zog das Präservativ ab. Das warf sie in die Toilette, das Röllchen aber packte sie in die Tasche. Dann streckte sie sich noch einmal die Zunge heraus. Die drei Mikrofilme – ein fotokopiertes Buch – hatten noch eine komplizierte Reise vor sich. Aber der wichtigste, gefährlichste Abschnitt war nun überstanden.
    Vinar vergötterte seine russische Frau. Er hatte von Anfang an zu ihr gesagt: »Ich weiß, du wirst mich verlassen. Aber ich habe vor dir noch keine Frau geliebt und werde nach dir keine andere lieben.«
    Er hatte eine Zeitlang als Journalist in Russland gearbeitet, nun war er arbeitslos. Das spielte keine Rolle. Übermorgen würden sie nach Stockholm fliegen, von dort nach Paris, und das geschmuggelte Manuskript, dessen Autor im Lager saß, auf den Schreibtisch der Redaktion legen, die schon lange auf dieses Buch wartete.
    Vinar hasste den Kommunismus, liebte Russland und vergötterte seine Frau Jelisaweta. Ilja hatte gute Arbeit geleistet. Der Mikrofilm des Buches, das die Frau des Autors auf intimstem Weg aus dem Lager geschmuggelt hatte, war von bester Qualität. Sergej Tschernopjatow, der diese mindestens dreistufige anal-gynäkologische Operation organisiert hatte, wusste, dass alles klappen würde. Auf die Füchsin war Verlass.

Die zu kleinen Stiefel
    Nachdem Schura ihre Schwester verabschiedet hatte, kehrte sie zurück zu ihrem neuen Mann und traf dort noch die Reste der Hochzeitsgesellschaft an. Die meisten Gäste waren natürlich weg, aber besonders Hartnäckige feierten auch am dritten Tag noch, wobei sie den Hausherrn längst vergessen hatten, ganz zu schweigen von der neuen Hausherrin. Schura machte sich ans Putzen. Sie erkor zwei alten Hemden von Artur zu neuen Putzlappen, begann in der Küche und arbeitete sich wie ein schwerer Traktor durch das Haus, um die prähistorischen Schmutzschichten abzukratzen. Mascha half ihr schweigend, schleppte Wasser vom Brunnen, putzte die Fenster und wusch die uralten Vorhänge. In sein Zimmer ließ Artur sie nicht, aber Schura wusste: Mit der Zeit würde sie auch dorthin vordringen. Obgleich Artur nun ihr Mann war, behandelte sie ihn noch immer wie ihren geliebten Schwager.
    Am vierten Tag, als auch die letzten Gäste mit Ach und Krach gegangen waren, bis auf

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