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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Mascha missbilligend.
    Sie hatten noch nicht alles ins Haus gebracht, als fünf Männer auftauchten, drei in Uniform, zwei in Zivil. Sie fragten nach Artur Iwanowitsch Koroljow. Der Älteste, ein Mann mit mehlweißem Gesicht, zeigte einen Klappausweis, zog ein Papier hervor und drückte es Artur in die Hand.
    Artur setzte sich in seinen Sessel und lächelte sein indifferentes Lächeln.
    »Nur zu, Jungs, tut eure Arbeit. Und du, Schurotschka, geh in die Küche. Während die Männer beschäftigt sind, können wir essen.«
    Die Durchsuchung dauerte fast zwölf Stunden – von halb fünf bis drei Uhr früh. Sie stiegen auf den Dachboden, in den Keller, klopften alle Wände ab. Gingen in den Pavillon, zerbrachen dort einen Tisch, warfen das gesamte Brennholz aus dem Schuppen und durchwühlten alles. Auch in die Toilette schauten sie, leuchteten mit einer Taschenlampe hinein. Artur zeigte ihnen seinen Behindertenausweis und seine Urkunden.
    »Sie werden sich vor dem Gesetz verantworten«, knurrte der Hauptmann finster. »Sie haben keinen Gewerbeschein, zahlen keine Steuern. Sie binden hier weiß der Teufel was, antisowjetische Schriften …«
    Stapel alter Bücher, neu gebundene und zerfledderte, türmten sich auf der Werkbank.
    »Was ist denn hier antisowjetisch?« Artur breitete seine gewaltigen Arme aus. »Hamsun, Leskow, und das hier ist überhaupt ein Kochbuch … Sagt bloß, habt ihr noch nie was Antisowjetisches gesehen?«
    Auch Mascha war ein wenig beunruhigt – wenn sie nun auf dem Brett in der Toilette die Stiefel fanden, dann kam alles heraus.
    Die wackeren Burschen gingen erst, als es im Osten schon hell wurde. Die Bücher und sämtliches Buchbinderwerkzeug nahmen sie mit.
    »Koch Tee, Schurotschka«, bat Artur.
    Mascha saß da und machte sich Sorgen: Wenn Artur nun verhaftet wurde und sie und ihre Mutter zurück nach Ugolnoje mussten, ob dann das Geld für einen Flug reichen würde, denn mit dem Zug dauerte die Reise vier Tage …
    Artur kroch unter den Tisch – dort hatten zuvor jede Menge Bücher gelegen, nun war nichts mehr da, die Durchsucher hatten alles rausgeholt. Artur setzte sich in seinen verbundenen Sessel und kratzte sich das haarlose rosige Kinn.
    »Mystisch, wirklich mystisch! Schura, ich hatte hier unterm Tisch ein Exemplar Archipel GULAG liegen. Sie waren garantiert deswegen hier. Irgendwer muss mich verpfiffen haben. Aber wo ist es hin? Ein dicker Packen hat hier gelegen! Ich bin doch nicht verrückt!«
    Nun, Schura wusste, dass er sehr wohl verrückt war – keiner wurde einfach so ins Irrenhaus gesperrt. Und Mascha schlief schon, erschöpft von ihren komplizierten Gefühlen, der nächtlichen Haussuchung und dem glücklichen Wissen um ihren heimlichen Besitz.

Ein hohes Register
    Das Haus in der Potapow-Gasse, das Hunderte wechselnde Bewohner erlebt hatte und so manche Metamorphose an den Wänden – Tapeten aus Seide, Empiretapeten, gestreifte und mit Rosen, hässliche grüne und blaue Ölfarbe, Zeitungspapierschichten und mehrfach erneuerte billige Tapeten aus grobkörnigem Papier –, ein Haus, das in den anderthalb Jahrhunderten seiner Existenz Reichtum und Verarmung erlebt hatte, Geburten und Tode, Morde und Hochzeiten, die Aufteilung großer Wohnungen unter mehrere Parteien, Renovierungen, die schlimmer waren als Brände, kleine Brände und Überschwemmungen, dieses Haus schmückte sich in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts innen mit tschechischen Möbeln und dreieckigen kleinen Tischen. Das Haus war in gemächlicher, beinahe geologischer Bewegung, und nur ein Raum – die Hauswartskammer unterm Treppenabsatz im Erdgeschoss – hatte seinen ursprünglichen Zustand, seine Bestimmung und seinen Inhalt bewahrt: Die Wände waren nach wie vor aus bloßen Ziegeln, unverputzt, und in der Kammer wurden nach wie vor Reisigbesen, Brecheisen und Eimer mit Sand aufbewahrt. Und ein zusammengerollter ellenlanger Schlauch – der wertvollste Schatz.
    Der Verschlag war abgeschlossen. Das gewaltige eiserne Vorhängeschloss hätte auch gewichtigere Schätze schützen können, aber der Hauswart Ryshkow, in der ganzen Gegend berühmt für sein wildes Äußeres und seine unglaublich krummen Beine, liebte nun einmal solide Dinge wie dieses wuchtige schwere Schloss. Seine Enkelin Nadka musste jedes Mal, wenn sie einen Kavalier in den Verschlag lockte, lange in dem Schloss herumstochern. Nadka liebte das, also jede Art von Herumstochern. Sie war frühreif und von ungebührlichem Betragen, sie

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