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Das Gutachten

Das Gutachten

Titel: Das Gutachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sina Cartier
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am Anfang etwas mehr Zeit benötigen. Deshalb machte sie
sich noch keine Sorgen, wenn er nicht sofort anbiss.
    Sie winkte ihm freundlich
zu und wandte sich ab zum Gehen.
    Mit einer geschmeidigen
Handbewegung strich sie sich eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht, lächelte
und drehte sich um.
    »Soll ich ihnen vielleicht
beim Suchen helfen? Vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei.«
    Sandra schmunzelte, das
ging ja diesmal doch schneller als erwartet. Meist kämpft zu dem Zeitpunkt noch
die Neugier mit dem schlechten Gewissen. Aber bei diesem Exemplar der
männlichen Erdbewohner war der Kampf anscheinend schnell zu Ende.
    »Ja, also, wenn sie das
tun würden. Ich muss zugeben, ich verlaufe mich hier in diesen
unübersichtlichen Hallen regelmäßig. Und dann weiß ich manchmal gar nicht, ob
ich schon hier war oder nicht.«
    Chris hatte ihr immer
bestätigt, dass an Sandra eine große Schauspielerin verloren gegangen sei.
Niemand könnte die von ihnen beiden erschaffene Rolle der
»naiv-hilflosen-sexy-bitch« so überzeugend spielen wie Sandra.
    »Ich muss nur noch zwei,
drei Sachen zusammenpacken. Dauert aber nicht lange.« Jochen Baumanns Nervosität
stieg, jetzt wo es ernst wurde und seine Stimme war ein bisschen höher als
sonst.
    Auch wenn er sich diese
Situation während des Nachmittages dutzende Male vorgestellt hat, half das in
diesem Moment nicht wirklich viel. In seinem eigenen Kopfkino war er natürlich
cool und souverän geblieben. Nun zitterten seine Hände leicht und er begann zu
schwitzen.
    Glücklicherweise waren das
die gleichen Symptome, die bei einem nichtsahnenden Opfer auftreten würden,
redete Baumann sich ein. Schließlich werden viele Männer nervös, wenn sie von
so einer tollen jungen Frau angesprochen werden.
    Wahrscheinlich war seine
sichtbare Anspannung sogar eine ganz gute Tarnung, dachte er sich. Wäre er zu
selbstsicher, könnte er Verdacht erregen. Die Beamten hatten ihm gesagt, die
Frau würde schon das Heft in die Hand nehmen, er müsse nur richtig reagieren.
    Baumann blickte noch
einmal in alle Ecken des Standes, nahm seinen Aktenkoffer und trat zu Sandra.
Er streifte leicht ihren Arm und kam einen halben Schritt zu nah, als er sie
fragte: »Wo hatten sie sich denn mit ihrem Kollegen verabredet?«
    Sandras Herz machte einen
Hüpfer. Er war genau wie alle anderen. Ein leichter Körperkontakt hier, ein
kleiner Anfasser da und schauen, wie die Frau reagiert. Wenn sie sich nicht
sofort zurückzieht, lassen die Männer nicht locker, bis sie die Frau in der
Kiste haben.
    Doch dagegen hatte Sandra
nichts. Sie wich nicht zurück, sondern suchte gleichermaßen die Nähe zu Baumann
ohne ihn direkt zu berühren. Gemeinsam gingen sie systematisch die Gänge
entlang, bis ein Klingeln aus ihrer Handtasche drang.
    Sie griff nach ihrem
Handy, blickte auf das Display und raunte ihrem neuen Begleiter zu: »Das ist
er.« Diskret ging Baumann einen Schritt nach hinten, doch Sandra sorgte schon
dafür, dass er jedes Wort mitbekam.
    »Hallo, wo bist du? Ich
suche hier schon alles nach dir ab.«
    Eine Pause entstand, in
der Sandra nur hin und wieder etwas in das Mikro murmelte. Ganz offensichtlich
gefiel ihr das nicht, was ihr Kollege gerade gesagt hatte.
    »Ah ja, verstehe. Und ich
kann jetzt sehen, wie ich in die Stadt komme. Das finde ich echt nicht in
Ordnung. Außerdem habe ich einen Bärenhunger und ich dachte, wir würden gleich
noch etwas essen gehen.« Sie setzte ein missmutiges Gesicht auf, während sie
ihrem Gesprächspartner lauschte.
    »Nein, mach dir keine
Sorgen. Ich komme schon zurecht. Ich werde den Abend auch sehr gut ohne dich
auskommen. Ciao.«
    Mit gespielter Wut ließ
Sandra das Handy wieder in ihre Tasche gleiten. »Blödmann!« stieß sie hervor
und musste sogleich lachen, als sie Baumann direkt vor sich sah. »Sorry, ich
meinte natürlich nicht sie.«
    »Das habe ich, ehrlich
gesagt, auch nicht erwartet. Hat ihr Freund sie versetzt?« Die etwas zu
deutliche Betonung auf dem Wort ‚Freund‘ war Sandra nicht verborgen geblieben.
‚Natürlich, jetzt will er mir auf den Zahn fühlen,‘ dachte sie insgeheim.
    »Oh, Gott bewahre. Er ist
nicht mein Freund, wir arbeiten nur gut miteinander. Und da wir immer mal
wieder gemeinsam auf Messen unterwegs sind, gehen wir eben auch mal zusammen
weg. Aber, ...« Sandra rückte nah an Baumann heran und flüsterte ihm ins Ohr:
»... er ist schwul.«
    Mit einem
Kleinmädchen-Grinsen blickte Sandra ihn an, als hätte sie gerade ein

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