Das Gutachten
Stimme klang kühl und gefühlsarm. Doch so abgeklärt, wie sie sich gerade
geben wollte, war sie nicht. Das wussten beide.
Kapitel 32
Schon seit mindestens
einer Viertelstunde kaute Sandra in ihrer Zelle auf einem Stift herum, fing
immer mal wieder einen Satz an, strich ihn dann wieder durch und schmiss die
Seite weg. ‚Wenn das so weiter geht, brauche ich einen ganzen Block nur für
diese blöde Aufgabe‘, lachte sie zynisch auf.
Sie wusste schlichtweg
noch nicht, wie und wo sie anfangen sollte. Als sie sich an die Wand gelehnt
auf ihr Bett gesetzt hatte, dachte sie noch, die Hausaufgaben für Dr. Renn in
einer halben Stunde erledigen zu können. Sie schrieb eigentlich ganz gerne und
irgendwie würde sie das auch mit dem anderen Blickwinkel hinbekommen.
Doch jedes Mal, wenn sie
einige Wörter formulieren wollte, blockte ihr Gehirn ab, hörte einfach mitten
im Satz auf zu denken.
Wie in aller Welt sollte
sich in die Gedankenwelt von Thomas hineinversetzen? Noch dazu Thomas! Bei
einem netten Typen, wäre es wahrscheinlich nicht so schwer, aber ausgerechnet
dieses chauvinistische Arschloch hatte Dr. Renn gewählt. Einer, der immer
hinter Chris hergedackelt war und von dem sie nur dämliche Sprüche in
Erinnerung hatte.
Bei dem Gedanken an Chris
hielt sie kurz inne. Was hatte er regelmäßig zu ihr gesagt, als sie damit
angefangen hatten, die Videos mit den reichen Männern zu machen?
»Lass deiner Phantasie
freien Lauf, stell dir einfach vor, du hättest George Clooney gerade zufällig
in einer Bar getroffen. Die Sinnesorgane nehmen zwar etwas wahr, aber dann
stellt der Kopf die Informationen zu einem Bild zusammen. Wenn du an dieser
Stelle stärker eingreifst, wird das Leben viel bunter und interessanter. Vor
allem beim Sex!« Das waren seine Worte.
Und tatsächlich hatte das
funktioniert: Sie fühlte sich wie eine Schauspielerin, die in eine Rolle
schlüpft und am Ende gut bezahlt wird. Manchmal hatte sie sogar sehr nette
Mitspieler, auch wenn George Clooney noch nicht dabei gewesen war.
Und wenn die Umstände
nicht prickelnd waren, dachte sie umso mehr an die mitlaufende Kamera und an
den »Gagen-Scheck« nach dem Dreh. Bei ihrem Geschäftsmodell waren das ja noch
nicht einmal abwegige Vergleiche. Sie schmunzelte.
In dieser Zeit hatte
Sandra ihre Phantasie, ihr Kopfkino geschärft. Es fiel ihr leicht, in Tagträume
einzutauchen, sich Situationen vorzustellen oder auch erlebte Geschehnisse in
Gedanken wieder und wieder aufleben zu lassen. Mal gab sie den Dingen eine
andere Färbung, mal ein anderes Ende, schmückte sie mehr aus oder ließ die
Dinge weg, die ihr nicht gefielen.
Und so musste es doch auch
in einer anderen Rolle funktionieren, zumal sie sich am Anfang ihrer kriminellen
Karriere ganz bewusst ein paar Mal in die Rolle des Mannes hineinversetzt
hatte, um noch besser auf die Wünsche ihrer Opfer eingehen zu können. Chris und
sie haben im Vorfeld regelrecht Gespräche geübt und er hatte ihr erklärt, was
ihn als Mann besonders anmacht und was nicht.
Es genügte eben nicht,
jemandem einen geäußerten Wunsch zu erfüllen. Sie musste die Begierden, die
Neigungen erkennen, bevor die Männer sie aussprachen. Dadurch wurde sie zum
wirklichen Lustobjekt. Das unterschied sie von vielen anderen, von den
bezahlten Damen.
Sandra schloss die Augen
und erinnerte sich an die ersten Male, die ihr noch sehr schwer gefallen waren.
Sie hatte gemeinsam mit Chris einige Pornos geschaut. Pornos von der billigen,
simplen Sorte, in denen ein 08/15-Mann eine geile großtittige Blondine
flachlegt. Die Art von Film, die tausendfach im Internet zu finden sind und
angeblich private Schlafzimmer von echten Leuten zeigen.
Am Anfang hatte Sandra das
in ihrer unerfahrenen Naivität sogar geglaubt, bis ihr aufgefallen war, dass
die Mädchen sich augenscheinlich ähnelten und immer viel besser aussahen als
die Männer.
Chris hatte ihr dann
erklärt, dass Millionen solche Streifen als Wichsvorlagen nutzten und es bei
vielen gerade dann gut funktioniert, wenn der Mann keinen Adoniskörper hat,
sondern so aussieht, wie der Typ, der einsam im schlabbrigen Unterhemd vor
seinem Computer sitzt und dabei sein bestes Stück rubbelt.
Chris ermunterte sie, die
Frauen aus dem Blick des Mannes zu betrachten: als ‚leckeres Stück
Frischfleisch‘, als ‚blöde Schlampe, die nichts anderes verdient hat‘, als
‚Nutte, die gefälligst zu Diensten sein soll‘, als ‚Sekretärin‘ usw. usw. das
würden die Männer auch machen
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