das gutenberg-komplott
Aber einmal hatten wir beide getrunken, und sie machte Anspielungen.«
Der Abt schien in seinem Gedächtnis zu kramen oder eine treffende Formulierung zu suchen.
»Was waren das für Anspielungen?«, fragte Thomas.
»Ich solle die Stunden genießen, sagte sie mir und wörtlich: ›Wer weiß, was kommt! Ich spiele mit dem Gedanken, wegz u gehen .‹ Die Treffen mit ihr waren mir ans Herz gewachsen, trotz der Risiken. – Es ist schließlich keine Kleinigkeit, sich einmal die Woche nachts aus dem Kloster zu schleichen. – Sie lächelte, als sie meine Furcht bemerkte. Es amüsierte sie wohl, dass wir Dinge taten, die in jeder Predigt verurteilt werden. Sie sagte: ›Ich träume davon, nach Straßburg zu ziehen, wo mich niemand kennt, und mir dort ein kleines Haus zu kaufen. Ich werde i n nerhalb der Stadtmauern leben, verstehst du. Erst dann habe ich mich von Mainz und meiner Familie gelöst.‹ ›Und woher nimmst du das Geld?‹, fragte ich; denn das, was sie von mir bekam, war dafür zu wenig. Sie antwortete: ›Mit etwas Glück werde ich bald reich sein. Ich habe einen dicken Fisch an der Angel. Ich besitze ein Geheimnis, das viel Geld wert ist.‹ ›Was für ein Geheimnis?‹. ›Wenn ich es dir sage, ist es kein Gehei m nis ‹ , ›Hast du den Stein der Weisen gefunden?‹ Und sie erw i derte im gleichen Ton: ›Vielleicht nicht gerade den Stein der Weisen, aber immerhin das Geheimnis der Schwarzen Kunst.‹ Und dann lachte sie, als habe sie einen guten Witz g e macht. Ich verstand kein Wort. ›Das macht der Wein‹, sagte sie. ›Vergiss alles, ich rede Unsinn.‹ Ich spürte aber, dass ein Funke Wah r heit in dem war, was sie erzählte.«
Thomas dachte an die beiden Worte im Totentanz. Er hatte die kleine Randnotiz nicht vergessen, sie beschäftigte ihn immer wi e der. Er erinnerte sich auch an ein Gespräch, das er mit Kath a rina darüber geführt hatte, auf dem Weg zurück in die Stadt. I h nen war aufgefallen, dass Klara an verschiedenen Stellen Beme r kungen an den Rand notiert hatte. Sie gehörte offe n bar zu den Menschen, die einem Text gern ihre eigenen Gedanken beifügten. Fand sie es interessant, nach längerer Zeit die Randnot i zen zu lesen?
»Natürlich war ich neugierig geworden«, fuhr der Abt fort, »ich goss ihr Wein nach, aber es nützte nichts. Mehr war aus ihr nicht rauszubekommen. Auch bei den folgenden Treffen nicht. Ich habe hin und her überlegt. Dann fiel mir dieses Krä u terweib ein, diese Frau, mit der sie sich häufiger traf.«
»Wer ist das?«
»Eine alte Frau. Klara erwähnte einmal, dass sie in einem kleinen Dorf Richtung Oppenheim wohnt.«
»Wie heißt das Dorf?«
»Neuhof.«
»Und die Frau?«
»Falls sie ihren Namen erwähnt hat, so habe ich ihn verge s sen.«
»Was wollte Klara bei ihr?«
»Unterricht nehmen. Sie wollte bei ihr lernen, welche Kräfte bestimmte Kräuter haben. Und jetzt zählt mal eins und eins z u sammen. Mir gegenüber spricht sie von Schwarzer Kunst und davon, dass sie ein Geheimnis kennt, das sie verkaufen will. Und gleichzeitig geht sie zu der Frau und lässt sich in ihre Kunst einweisen. Meiner Meinung nach ist die Alte eine Hexe. Und der Mord hat mit Magie zu tun und Hexerei.«
Thomas konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ist das E u er Ernst?«
Das Gesicht des Abtes wirkte plötzlich verändert, und Th o mas fragte sich, ob er ihn beleidigt habe. »Mir ist nicht nach Scherzen zumute«, sagte er kühl.
16.
E
r kam gerade vom Kurfürsten. Eigentlich hätte Thomas eing e schüchtert sein müssen, aber er kochte vor Wut. Sie ve r drängte alle anderen Empfindungen.
Er ging über den Marktplatz, und es war bereits dunkel. Zu dem Nebel kam jetzt wieder Regen, der manchmal in Schneer e gen überging. Thomas verfluchte den Schlamm und das Wetter. Vor allem aber verfluchte er den Kurfürsten. Er war so aufg e bracht, dass er kaum wahrnahm, was um ihn her vorging. Eine alte Frau, die seinen Weg kreuzte, bemerkte er nicht. Er hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, die Kapuze seines Mantels überz u ziehen, und Tropfen liefen ihm über das Gesicht. Das brachte ihn wieder zu sich. Fragmente des gerade zurückliege n den Gesprächs kehrten als Erinnerung zurück. Dass ihm jemand folgte, dass er beobachtet wurde – es fiel ihm in seiner Err e gung nicht auf.
Mit der Frage: »Wie lange seid Ihr jetzt in Mainz?«, hatte ihn der Fürst begrüßt.
»Es müssen wohl vier Tage sein.«
»In dieser Zeit ist in meiner Stadt ein Mord
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