das gutenberg-komplott
verlieh der Stadt einen besonderen Glanz. Er überschaute die Mauer mit ihren Türmen und die Kirchen, Klöster und Adelshöfe. Der rötliche Dom überragte alle Gebä u de. Obwohl Mainz die größte Ansiedlung dort unten in der E bene war, wirkte die Stadt klein und beschaulich – verglichen mit italienischen Städten, die er kannte; verglichen auch mit Köln.
Thomas konnte weit in die Ferne blicken. Das mussten die Hügel des Taunus sein, die sich dort abzeichneten, und der A n fang des Rheingaus. In der anderen Richtung lag eine weitere Hügelkette, wahrscheinlich der Odenwald. Und wenn er sich noch ein Stück umwandte, sah er weit gestrecktes Land, flacher und sanfter; in dieser Richtung herrschte Wald vor, ein paar vereinzelte Rebflächen gab es und kleine Dörfer.
Etwa eine Stunde später, nachdem er einige Weiler durc h quert hatte, erreichte Thomas ein Dorf in einer Talsenke. Kaum mehr als zehn Bauernhöfe gruppierten sich halbkreisförmig um einen Teich. Ein niedriger Flechtzaun umgab die wenigen G e bäude. Dahinter lagen Wiesen und Felder, gelegentlich kleine Baumgruppen; in der Ferne ein Dorf mit Kirchturm. Thomas war froh, den richtigen Weg gefunden zu haben, denn etwas abseits sah er das kleine Haus; er erkannte es an dem verlass e nen Storchennest. Genau so hatte man es ihm beschrieben.
Aus dem Schornstein stieg Rauch auf. Langsam ritt er darauf zu. Er musste an ein Märchen denken, das ihm früher seine Großmutter erzählt hatte und in dem ein Hexenhaus eine Rolle spielte – denn wie ein solches wirkte es auf ihn. Neben der Tür befanden sich zwei winzige Fenster, und Holzschindeln b e deckten das niedrige Giebeldach. Er band sein Pferd an ein Weide n gebüsch nahe eines Baches. Während er auf das Haus zuging, hatte er das Gefühl, von drinnen beobachtet zu werden.
Die Läden waren verschlossen. »Hallo«, rief er, »ist jemand zu Hause?« Niemand antwortete. Er klopfte an die Eingangstür, die aus rohen Brettern gefertigt war.
»Wer ist da?« Thomas stutzte, denn es klang, als ob ein ju n ges Mädchen mit ihm spreche.
»Ein Freund von Klara Roth.«
»Was wollt Ihr?«
»Mit Euch reden.«
»Über Klara?«
»Ja.«
»Klara ist tot«, sagte die Mädchenstimme.
»Deswegen bin ich hier.«
»Ich habe mit der Sache nichts zu tun.«
»Macht schon auf! Es geschieht Euch nichts.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Er sah ein Auge, das an ihm auf- und abwanderte.
»Schau an, schau an! Ein hübscher junger Kerl, und er will mich besuchen.«
»Lasst mich rein!«
Die Tür öffnete sich, und vor Thomas stand eine sehr alte Frau mit unzähligen Falten im Gesicht. Die Wangenknochen traten hervor, und auffallend war die leicht gebogene Nase. Ihre braunen Augen blickten wach. Sie trug ein weißes Tuch auf dem Kopf, war klein, stand jedoch aufrecht vor ihm und hielt die Hände in die Hüften gestemmt. Sie musste über achtzig sein.
Die Frau machte eine Geste mit dem Zeigefinger der rechten Hand. »Ihr habt in letzter Zeit zu wenig geschlafen, junger Freund!«
»So fühle ich mich auch.«
»Die Jugend hält ihre Kräfte für unerschöpflich!« Sie trat zur Seite und ließ ihn herein. Es gab nur einen einzigen Raum. Da draußen die Sonne schien, war der Kontrast zur Dunkelheit im Haus stark, und Thomas erkannte zunächst recht wenig. Von Balken hingen Büschel mit Kräutern, an Schnüren aufgereihte Zwiebeln und Knoblauchknollen. Über einem Feuer stand auf einem Dreifuß ein Kupferkessel, von dem fremdartige Gerüche ausgingen. Auf einer Stange im hinteren Teil des Raums saß eine Krähe.
Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Junger Mann, Ihr wisst nicht, wie wichtig gesunder Schlaf ist.«
Thomas zeigte auf einen schwarzen Hund, der in der Nähe des Feuers zusammengerollt lag. Seine Schnauze ruhte auf den Vorderpfoten, und er hob träge die Augendeckel, um sie gleich wieder fallen zu lassen. »Der hat damit kein Problem!«, sagte er.
»Isidor, begrüß unseren Gast!« Der Hund zeigte keine Rea k tion.
Der Schein des Kaminfeuers verlieh den Gegenständen wechselndes Aussehen. In der Nähe des Feuers blieb Thomas stehen, und die Frau betrachtete sein Gesicht. »Ihr habt schwa r ze Ringe unter den Augen, und die Farbe Eurer Haut gefällt mir nicht. Was habt Ihr gefrühstückt?«
»Etwas Brot und Käse.«
»Esst zum Frühstück Honig, und trinkt ein Glas frische Milch dazu! Mittags häufiger Fleisch und Kohl. Trinkt Ihr Wein?«
»Selten.«
»Jeden Abend ein Glas! Das stärkt die Konstitution.
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