Das Habitat: Roman (German Edition)
sollte.
„Ich kann dich nicht gehen lassen, Liam. Das weißt du. Deine Zukunft liegt hier. In der Gemeinschaft. Wenn du dich aber von der Gemeinschaft abwendest – dann bist du verloren. Ich bin dein Freund, Liam! Und gerade deshalb kann ich das nicht zulassen!“
Er glaubte fest daran, was er da sagte. Die meisten Menschen taten das. Wer seine Gemeinschaft verleugnete war verloren. Und wahrscheinlich hätte ich wohl ebenso gedacht – hätten mich die Schrecklichen Ereignisse nicht gezwungen, einen anderen Weg einzuschlagen.
„Du wirst ohnehin nicht weit kommen. Selbst wenn du es an mir vorbei schaffst. Also sei vernünftig.“
Ich wusste, dass er recht hatte. Tränen traten mir in die Augen. Ich war wütend und verzweifelt. Da legten sich von hinten plötzlich zwei starke Arme um ihn und hielten ihn fest umklammert. Es war Jack, wie ich gleich darauf erkennen konnte. Seamus versuchte, sich frei zu winden, doch die starken Arme des alten Knechtes hielten ihn gefangen wie Schraubstöcke.
Er zerrte Seamus, der laut schrie und strampelte, aus dem Stall und hinüber zum Räucherhaus. Aus dem Gesindehaus waren mittlerweile neugierige Gesichter aufgetaucht. Jack jedoch rief ihnen zu, sie sollten sich wieder nach drinnen scheren. Er hätte einen Dieb erwischt, der sich hier offenbar in der Nacht an unseren Vorräten gütlich tun wollte – doch hätte er die Sache bereits erledigt. Er stieß Seamus durch die Tür des Räucherhauses, verriegelte sie und meinte:
„Nun, verhungern wird er da drin jedenfalls nicht.“
Er sah mir tief in die Augen.
„Ich werde ihn nicht ewig da drin lassen können.“
„Bis morgen Mittag“, sagte ich erleichtert. „Das muss genügen.“
Seamus tat mir leid. Ich wünschte, das hätte nicht passieren müssen. Er würde die Messe morgen verpassen. Ich hoffte, dass er mir eines Tages würde verzeihen können.
„Du wirst Ärger bekommen deswegen.“, meinte ich bedrückt.
Er zuckte nur mit den Schultern.
„Ich habe einen Dieb erwischt, der sich nachts hier herumtrieb. Als ich meinen Irrtum schließlich erkannte, tat es mir natürlich schrecklich leid. Aber ich werde halt langsam alt... und du weißt ja, ab und zu trinke ich gerne mal einen über den Durst.“
„Du verstehst, warum ich fort muss?“
Er nickte.
„Vieles von dem was du mir erzählt hast, mag für mich vielleicht keinen Sinn ergeben, aber eines verstehe ich: Du musst nach deinem Vater suchen. Weißt du schon wo du anfangen willst?“
Ich schüttelte den Kopf. Die Frage hatte ich mir auch schon gestellt. Immer und immer wieder. Doch der einzige Anhaltspunkt den ich hatte, das waren zwei Namen. Ian und Marten. Letzterer war der Puppenspieler des Zirkuses gewesen. Ich hatte ihn während der Vorstellungen mehrmals gesehen. Über den anderen wusste ich nicht mehr, als dass er ebenfalls mit dem Zirkus reiste. Mit ihnen – und noch ein zwei weiteren Männern – hatte mein Vater sich in jener Nacht getroffen, als ich mit Sarina von unserem Nachtspaziergang gekommen war. Natürlich war es gut möglich, dass dieses nächtliche Treffen überhaupt nichts mit den späteren Ereignissen zu tun hatte, und dass Marten und Ian nicht wissen würden, was ich eigentlich von ihnen wollte. Oder dass sie es wussten und mir dennoch nicht weiterhelfen würden.
Der einzige andere Anhaltspunkt den ich hatte, das waren Vaters viele Fahrten nach Loughrea. Doch was nützte mir das. Ich wusste nicht, an wen ich mich dort hätte wenden sollen. Auch Jack wusste nichts darüber. Ich hatte ihn bereits mehrmals danach gefragt.
Nein, Marten und Ian waren der einzige Anhaltspunkt den ich hatte. Außerdem – ich wollte mir das lange nicht eingestehen –, der Gedanke daran, Sarina wiederzusehen, hielt mich fest im Griff, seit ich beschlossen hatte, Ballynakill zu verlassen. Doch zunächst einmal galt es, mich vor dem Zugriff der Kirche zu verbergen. Hatte man die Suche nach mir erst einmal eingestellt, dann wollte ich mich auf den Weg nach Osten machen. Das sagte ich Jack. Der nickte nur brummend und sagte dann:
„Wende dich zunächst nach Südwesten. In wenigen Tagen erreichst du ein Gebiet, das aus einer steinigen Karstlandschaft besteht. Menschen gibt es dort kaum, da der felsige Boden keinerlei Landwirtschaft zulässt – nur ein paar vereinzelte Schafherden vielleicht.“
Ich dankte ihm für den Rat und beschloss, ihm zu folgen; auch wenn er mich zunächst von der Richtung, die ich eigentlich einzuschlagen gedachte, abbrachte.
„Ich
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