Das Habitat: Roman (German Edition)
Ausläufer der Stadt entgültig hinter uns. Wir erreichten freies Feld und ich war froh, dass wir nun wieder in unsere Holzschuhe schlüpfen konnten. Mein Füße fühlten sich kalt an. Zudem war ich unterwegs, in der Dunkelheit auf etwas getreten, was wohl ein altes Stück Holz gewesen sein mochte. Ich hatte mir einen Spliter eingezogen und es schmerzte bei jedem Schritt.
Als die Wolkendecke erneut aufriss, beschien der Mond einen bunt bemalten Tinker–Wagen, der da mitten auf dem freien Feld stand. Ein Pferd war daneben angepflockt. Ich konnte hören, dass es kurz erschreckt auffuhr, als wir uns näherten. Es schnaubte. Als Marten jedoch beruhigend auf das Tier einsprach, entspannte es sich wieder.
„Hier sind wir.“, sagte Marten. Er gab sich nun keine Mühe mehr, leise zu sein. Das schien nicht mehr nötig. „Tretet ein, in meine Bescheidene Behausung!“
Allen aber schüttelte nur mit den Kopf.
„Bei Tagesanbruch wollen wir...“ Er sah sich unsicher nach Ryan um. Dieser nickte leicht. „...wollen wir“, sagte Allen nun mit sicherem Ton, „bereits weit weg von hier sein.“
Er wollte zu Jamerson zurück. Und Ryan auch. Nun, das war mir eigentlich von Anfang an klar gewesen. Dennoch schmerzte es mich. Mir wurde deutlich bewusst, wie sehr die vergangenen Wochen – vor allem aber die Ereignisse der letzten Tage – uns zusammen geschweißt hatten. Zumindest Ryan und mich.
„Aber doch nicht bevor ihr etwas gegessen habt.“, sagte Marten. „Mit leerem Bauch marschiert es sich schlecht. Und ein paar alte Sachen zum Überziehen finden sich sicher auch noch. Pater Finn hatte recht. Man würde euch in dem Zeug, das ihr da anhabt, überall sofort als entlaufene Waisenhausjungen erkennen.“
Wir drängten uns um den Wagen. Marten entzündete ein kleines Feuer und bald darauf schon drang uns der verlockende Duft von Bratkartoffeln und Speck in die Nase.
Nach der kargen Kost der letzten Tage, langten wir denn auch ordentlich zu.
Ich war erstaunt, wie leicht uns die Flucht gelungen war. Wie reibungslos das alles abgelaufen war. Na ja, abgesehen davon natürlich, dass der Puppenspieler zwei Sorger hatte außer Gefecht setzen müssen. Ich sagte dies auch. Marten sah mich belustigt an.
„Was hast du denn erwartet? Dass das Ordinariat die gesamte Stadt in Aufruhr versetzen würde? Und die öffentlichen Wachleute ausrücken würden – nur um ein paar entlaufene Jungs wieder einzufangen? Sie werden nach euch suchen, keine Frage. Für heute Nacht aber dürften wir Ruhe haben. Also esst. Und macht euch nicht den Kopf schwer.“
Damit lud er uns unsere Teller erneut voll.
Satt und in gebrauchte, jedoch durchaus ansehnliche Kleidungsstücke gehüllt, standen Ryan und Allen etwa eine Stunde später vor mir. Es war Zeit Abschied zu nehmen.
„Ich danke dir.“, sagte Ryan. „Ich meine dafür, dass du nicht einfach ohne uns abgehauen bist und uns dort zurückgelassen hast. Du bist ein echter Freund.“
„Du auch.“, sagte ich. Und das meinte ich auch so. Ohne seine Freundschaft und seinen Beistand, hätte ich es während meiner Zeit bei Jamersons Schar schwer gehabt. Vor allem in den ersten Tagen.
Dann trat Allen auf mich zu. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. Er sagte kein Wort, sah mich nur an. Doch zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, lag so etwas wie Achtung, ja Respekt, mir gegenüber, in seinem Blick.
Dann machten die beiden sich auf den Weg. Doch noch bevor sie völlig in die Dunkelheit eintauchten, drehte Allen sich plötzlich noch einmal nach mir um. Er machte ein paar Schritte auf mich zu und blieb dann stehen.
„Sie ist vom Himmel gefallen.“, sagte er.
Ich sah ihn nur verwirrt an.
„Eileen.“, fügte er erklärend hinzu. „Das wolltest du doch wissen. Sie ist vom Himmel gefallen. Das jedenfalls hat Vater erzählt. Eines Nachts hat er sie mitgebracht. Er hat uns gesagt, sie wäre vom Himmel gefallen. Ein andermal sagte er, sie wäre ein Engel. Ein Engel, der vom Himmel herabgestiegen wäre, um von nun an bei uns zu leben.“
Ich nickte und versuchte aus diesen Worten schlau zu werden.
Ein Engel, der vom Himmel herabgestiegen war. Ja, das klang ganz nach Jamersons Ausdrucksweise. Doch was hatte der alte Mann damit sagen wollen? Was verbarg sich hinter diesen seltsamen Worten?
Allen jedenfalls schien auch nicht mehr zu wissen, als das, was er mir soeben mitgeteilt hatte. Er sah mich noch kurz an. Dann wandte er sich wieder nach Ryan um und schon kurz darauf hatte die Nacht
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