Das Habitat: Roman (German Edition)
Wahrheit...“, sagte ich gedehnt. „Was ist die Wahrheit?“
Er sah mich halb resigniert, halb belustigt an. Dann zuckte er mit den Schultern.
„Wer weiß das schon.“
Als er meinen irritierten Blick sah, umspielte die Andeutung eines Lächelns seine Mundwinkel.
„Ich kenne die Wahrheit nicht. Niemand kann wohl von sich behaupten, die volle Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Nun ja, ausgenommen die Kirche vielleicht – oder zumindest manche ihrer Vertreter. Aber glaub’ mir: Jedes Mal wenn einer dir versucht weiß zu machen, er wäre im Besitz der alleinigen und entgültigen Wahrheit, dann lauf. Nimm die Beine in die Hand und lauf!“
Er machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr:
“Ich für meinen Teil kenne gerade mal einen winzigen Zipfel der Wahrheit. Und auch allen anderen, innerhalb der Gemeinschaft, geht es da wohl kaum besser. Doch wir sind auf der Suche danach. Und manchmal werden wir sogar fündig. Hin und wieder gelingt es uns, einen kleinen Teil der Wahrheit ans Tageslicht zu bringen – ein weiteres Mosaiksteinchen zu finden, und dem Gesamtbild hinzuzufügen.“
„Und mein Vater?“, fragte ich. „Was weiß er? Warum will der Bischof ihn unbedingt finden? Was macht ihn für die Kirche so gefährlich?“ Dass sogar meine Mutter dafür sterben musste , wollte ich noch hinzufügen – ließ es dann aber.
„Michael ist einer unserer wichtigsten Verbindungsmänner. Ja vielleicht sogar der wichtigste, im gesamten Westen. Er – und nur er allein – ist im Besitz der Namen vieler unserer Leute. Und glaub mir, das sind wenige genug. In den vergangenen Jahren ist es der Kirche gelungen, der Gemeinschaft schweren Schaden zuzufügen. Viele unserer Leute wurden erkannt. Sie sind verschwunden. Über Nacht und in aller Stille. Niemand weiß wohin. Nur noch wenige von uns sind übrig. Verbindungswege sind zusammengebrochen. Wenn die Kirche Michael in die Finger bekommen sollte – ihm das Wissen entreißen kann, das sie benötigt – dann könnte dies womöglich einen Schlag für die Gemeinschaft bedeuten, von dem wir uns wahrscheinlich nie wieder erholen würden. Doch wollen wir hoffen, das es nie soweit kommt.“
Wieder glitten meine Gedanken ab. Zurück zur Nacht des Feuers. Das also hatten die Anderen damals gesucht, im Arbeitszimmer. Sie hatten gehofft, eine Liste mit Namen zu finden. Ich jedoch kannte das phänomenale Gedächtnis meines Vaters nur zu gut. Und nach alldem, was Marten mir eben erzählt hatte, glaubte ich eigentlich nicht, dass es irgendwelche derartigen schriftlichen Aufzeichnungen je gegeben hatte. Meine Mutter war völlig umsonst gestorben. Wut kochte in mir hoch.
„Im Augenblick jedenfalls ist Michael in Sicherheit.“, fuhr der Puppenspieler indes fort.
„Er ist bei Douglas.“, sagte ich.
Marten sah mich überrascht an.
„Pater Finn hat mir das gesagt.“, erklärte ich.
Er nickte.
„Aber um dich macht er sich Sorgen. Große Sorgen. Deshalb hatte er mich gebeten, nach dir zu schauen, und dir alle Hilfe zukommen zu lassen, falls du in Schwierigkeiten stecken solltest. Nun, das war ja ganz offensichtlich der Fall.“ Er zwinkerte mir belustigt zu. Ich machte mich also auf den Weg nach Ballynakill. So bald es mein Auftrag zuließ jedenfalls.“ (Worin dieser Auftrag bestand jedoch, das sagte er nicht.) „Du aber warst bereits fort. Ich gab einige Vorstellungen, denn es kostete mich ein paar Tage vorsichtigen Fragens, herauszubekommen was geschehen war. Glücklicherweise waren die Ereignisse auf eurer Farm – und auch dein plötzliches Verschwinden – noch immer Tagesgespräch, so dass es mir nicht allzu schwer fiel. Tagelang habe ich nach dir gesucht; habe ich versucht deiner Spur zu folgen. Doch du warst wie vom Erdboden verschwunden. Nach vielen Tagen erfolgloser Suche musste ich resigniert aufgeben. Ich wandte mich letztendlich wieder meiner Aufgabe zu. Diese führte mich denn auch nach Ennis – wo ich dich dann schließlich traf. Ich wäre damals achtlos an dir vorübergefahren, hättest du nicht nach mir gerufen. Ich hatte dich schließlich nie zuvor gesehen und kannte dich nur aus Michaels Beschreibungen. Nebenbei bemerkt: Was hat dich auf die Idee gebracht, mir den Namen deines Vaters zuzurufen?“
Ich zögerte kurz, dann erzählte ich ihm von jener Nacht, da ich ihn zusammen mit meinem Vater, sowie ein paar anderen, beobachtet hatte – und auch von meinem Vorhaben, ihn zu suchen.
Er lachte.
„Dann hast du also nach mir gesucht – wie ich nach
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