Das Habitat: Roman (German Edition)
Zufall sein – der Name war wahrscheinlich gar keine so große Seltenheit. Dennoch, an solche Zufälle glaubte ich einfach nicht! In welcher Verbindung stand Roger mit dem Pater Finn in Ennis? Und dass es eine solche Verbindung gab, davon war ich nun fest überzeugt. Hatte ich nicht schon früher den Verdacht gehabt, dass der Mann mit der Hakennase mich verfolgt hatte? Ich erinnerte mich, wie er den Mann, den er so verächtlich als Ruinenratte bezeichnet hatte, mit einem einzigen Schuss aus mindestens zehn Metern Entfernung erschossen hatte. Und derselbe Mann sollte nun an mir vorbeischießen, da er nur wenige Schritte weit von mir weg gestanden hatte?
„Liam!“ Die Stimme Ians wurde immer drängender.
Ich versuchte, ihn in der Finsternis auszumachen. Hatte Ian die Copter wirklich nicht bemerkt – oder hatte er nur nicht bemerkt, dass ich sie gesehen hatte?
Und da plötzlich verstand ich: Ich sollte entkommen! Nicht nur Sarinas Vater, auch Ian hatte uns an die Kirche verraten. Letzterer hatte womöglich schon immer in ihrem Dienst gestanden. Vielleicht sogar trug er durch seinen Verrat eine Mitschuld am Tot meiner Mutter.
Ich beschloss, die Probe aufs Exempel zu machen.
Meine Stimme durchdrang scharf das Rauschen des Regens und des Windes, als ich ihn anschrie:
„Wirf mich hinüber!“
Er sah mir nur ratlos entgegen, dann rief er zurück:
„Was soll der Unfug, Liam!“
„Wirf mich hinüber!“, rief ich noch einmal.
„Wir haben jetzt keine Zeit für irgendwelche Spielchen! Komm schon, beeil dich!“
Wut stieg in mir hoch. Das ganze war ein abgekartetes Spiel. Die Kirche hoffte immer noch, ich könne sie zu meinem Vater führen – vielleicht sogar zu diesem Douglas selbst. Sie kannten meinen Verbindungsmann nicht (dass dieser offenbar seit längerem verschwunden war, konnten sie ja nicht ahnen). Das aber konnte ich nur, wenn ich frei blieb – und am Leben. Vielleicht sogar hatte mein Entkommen aus dem Waisenhaus in Ennis schon zu ihrem Plan gehört. War mir dieses doch damals schon viel zu leicht vorgekommen. Nahezu mühelos war ich den weiten Weg nach Westen gekommen. Und dieser Roger – oder Pater Finn – hatte im Hintergrund über mir gewacht. Spätestens seit ich in Dublin eingetroffen war, hatte er mich im Auge gehabt – womöglich sogar früher. Wie ihm das gelungen war, darüber konnte ich mir später den Kopf zerbrechen. Zunächst einmal aber musste ich Ian loswerden, der immer drängender versuchte, mich weiterzuzerren.
Ich blieb stehen und sah ihn an. Er drehte sich zu mir um.
„Liam!“, rief er.
Da traf ihn mein rechter Aufwärtshaken direkt unter den Rippen. Ich hörte wie er die Luft aus den Lungen presste, als er sich zusammenkrümmte. Der Schlag hatte gesessen. Dennoch bezweifelte ich, dass ich so gut getroffen hätte, wäre Ian nicht so sehr von meinem unvermutetem Angriff überrumpelt worden. Meine Linke schoss in die Höhe und traf ihn genau auf dem Punkt.
Ich wirbelte herum und hastete durchs dichte Unterholz davon. Ich hatte ihn zu Boden geschickt, keine Frage, doch er war groß und kräftig. Ich wusste nicht, wie lange er brauchen würde, um sich wieder aufzurappeln, und die Verfolgung aufzunehmen.
Er brauchte nicht besonders lange. Bald schon konnte ich hören, wie er sich durchs Unterholz arbeitete. Ich verbarg mich hinter einem umgestürzten Baumstamm. Ein Blitz erhellte den Himmel über mir, doch erreichte sein Schein wegen des dichten Blätterdaches nicht den Boden. Durch das Fauchen des Sturmes, der sich in den Bäumen verfing, konnte ich hören, wie mein Verfolger an mir vorüberhastete. Das Knacken und Stampfen wurde schnell leiser und entfernte sich schließlich soweit von mir, dass ich es wagte aufzuspringen, und mich auf den Weg zurück zum Haus zu machen. Damit rechneten wohl weder Ian noch Rogers Leute.
Unbehelligt erreichte ich kurz darauf den Waldrand. Im Lichte eines weiteren Blitzes konnte ich sehen, dass das Gelände frei war.
Ich rannte los. Der Sturm traf mich nun wieder mit unverminderter Härte. Im Laufen überlegte ich wie viel Zeit wohl vergangen sein mochte, seit unserer Flucht. Höchstens ein paar Minuten – obwohl es mir vorkam wie eine Ewigkeit. Meine Gedanken drehten sich um Sarina. Sie war alles was in diesen Augenblicken für mich zählte.
Ich hatte das Haus erreicht und spähte vorsichtig um die Ecke. Also hatte ich vorhin richtig gesehen: Es waren zwei Copter gewesen. Beide standen sie, nur wenige Schritte vom Haus entfernt, auf
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