Das Habitat: Roman (German Edition)
während das gesagt hatte.
„Aber nun bitte ich dich um Hilfe. Für...“ Sie sah mich an. „Für einen Freund.“ Sie zögerte einen kurzen Moment, dann fügte sie noch mit fester Stimme hinzu: „Einen der’s wert ist.“
Ihr Vater betrachtete mich schweigend, von oben bis unten. Danach sah er seiner Tochter lange in die Augen. Schließlich fragte er:
„Das weißt du sicher?“
Sie nickte langsam aber unbeirrbar.
„Das weiß ich sicher!“
Ian
Trotz Sarinas Zuversicht dauerte es noch mehrere Tage, bis ihr Vater den Kontakt mit Ian hergestellt hatte. Nach wie vor suchte ich regelmäßig den Hafen auf, um nach der Gideon Brown Ausschau zu halten. Auch Sarina erkundigte sich nach dem Fischer, blieb jedoch ebenfalls erfolglos.
Wir verbrachten die Tage miteinander und sie zeigte mir Gegenden der Stadt, die ich alleine wohl niemals gefunden hätte, geschweige denn, dass ich mich getraut hätte, in dieses Labyrinth aus verwinkelten Gassen einzudringen. Überall waren noch Reste einstiger Größe zu erahnen; wenngleich auch die meisten erhaltenen Baulichkeiten heute neuen Zwecken zugeführt waren. Als wir auf eine breite und überwucherte – ehemals aber wohl sehr schöne – Prachtstraße hinaustraten, nahm sie mich bei der Hand. Um mich zu führen, so dachte ich erst – doch ließ sie für den Rest des Nachmittags nicht wieder los. Und ich auch nicht.
Auf einem steinernen Podest stand die Statue eines Mannes. Nahezu völlig überwuchert von Moos und umgeben von der ungezähmten Flora, die sich seit über 150 Jahren dieses Teils der einstigen Stadt bemächtigt hatte, stand er doch immer noch aufrecht und blickte erhaben der Zukunft entgegen. So jedenfalls war mein Eindruck. James Connolly stand darunter, in völlig verblichenen Buchstaben. Unter dem Namen war wohl auch noch eine Jahreszahl eingemeißelt gewesen – doch war diese nicht mehr zu entziffern. Zudem stammte sie noch aus der Zeit vor dem Neubeginn; ich hätte sie also ohnehin nicht einzuordnen vermocht.
Der Stamm eines Baumes, der hinter dem Podest aus dem Boden gewachsen war, wuchs um die Statue herum, und schien ihr zusätzlichen Halt zu geben. Irgendwie hatte ich den Eindruck, der wildgewachsene Baum schien den Dargestellten zu umgeben – ja, ihn regelrecht zu schützen. Möglicherweise sogar stünde er längst nicht mehr aufrecht dort oben, nach all den vielen Jahren, ohne diese Stütze.
Irgendwer musste sich vor einiger Zeit daran gemacht haben, die Figur von dem umgebenden Unkraut zu befreien. Doch der Versuch war kläglich gescheitert. Dies aber tat der aufrechten Haltung und der Würde des dargestellten Mannes keinen Abbruch. Im Gegenteil. Er hatte die Zeiten überdauert und würde womöglich noch immer hier stehen, wenn wir längst nicht mehr lebten. Vielleicht würde ich eines Tages herausbekommen wer er war.
Als wir an diesem Nachmittag zu meinem Versteck zurückkehrten, wartete Sarinas Vater bereits auf uns.
Der Wind blies uns heftig ins Gesicht. Es hatte leicht zu regnen begonnen und würde wohl noch heftiger werden.
Wir hatten die alte Stadt längst hinter uns gelassen, auch wenn hie und da vereinzelte Ruinen noch davon zeugten, dass es in alter Zeit wohl keine klare Trennung gegeben haben mochte, zwischen dem einstigen Dublin und der Ortschaft Swords, auf die wir uns nun zu bewegten. Hatten uns am Anfang noch ein paar Sterne – umringt von der schmalen Sichel des abnehmenden Mondes – unsren Weg erleuchtet, so lag der Weg vor uns nun im Dunkel. Wir erahnten ihn mehr, als dass wir ihn wirklich sahen. Immer wieder rumpelte der Wagen durch Schlaglöcher und schüttelte uns kräftig durch. Sarina saß neben mir auf der Ladefläche und ihre Schulter berührte kaum merklich die meine. Dennoch glaubte ich, jeden Pulsschlag zu fühlen, der durch ihren Körper ging. Aber das war natürlich nur Einbildung.
Lange hatte ihr Vater ihr auszureden versucht, uns zu begleiten. Sie aber hatte sich letzten Endes doch gegen ihn durchgesetzt – so wie dies offenbar immer der Fall zu sein schien.
Mitternacht war weit vorüber, als wir unser Ziel endlich erreichten. Nachdem wir die im Dunkel liegende Ortschaft durchquert hatten, hatte Sarinas Vater das Gefährt nach Westen gelenkt, auf freies Land hinaus. Das Haus, in dem Ian wohnte, lag gut verborgen in mitten eines großen Haines, der das Anwesen vor Blicken zufällig Vorüberkommender verbarg. Es war ein altes Gutshaus – soweit ich es in der Dunkelheit erkennen konnte –
Weitere Kostenlose Bücher