Das hätt' ich vorher wissen müssen
komme ja gleich!«
Na schön, auf die paar Minuten kam es nun auch nicht mehr an. Ohnehin müssen Kindermädchen über eine gehörige Portion Geduld verfügen.
Endlich verabschiedete sich mein Schützling von seinem Beau. »Ich komme nicht mit ins Hotel«, erklärte sie mir gleich, »ich habe nachher noch ein Rundfunkinterview.«
»Nennt man das jetzt so?«
Sie verstand sofort. »Es ist nicht das, was du glaubst. Der Junge hat heute abend eine Livesendung im Radio, und da will er mich unbedingt drinhaben.«
»Wo soll das stattfinden?«
»In Mainz natürlich.«
Aha. Soviel ich wußte, machte man dort lediglich Fernsehen, der Rundfunksender saß bestimmt ganz woanders, aber selbst wenn… Cleo gehörte ins Bett und morgen früh um zehn frisch gewaschen wieder an den Stand. Dann hatte sie nämlich wirklich einen Termin.
»Wie willst du überhaupt nach Mainz kommen? Etwa mit dem Taxi?«
»Nein, das brauche ich nur für die Rückfahrt. Jetzt nimmt mich der Stephan in seinem Wagen mit.«
Also doch! Freundschaftlich hakte ich sie unter und zog sie etwas zur Seite. »Hör mal, Cleo, du bist doch nicht von gestern! Der Knabe will sich bloß einen netten Abend machen, und dazu paßt du ihm prima ins Programm. Es ist sogar möglich, daß er mit Tonbandköfferchen anrückt, dich fünf Minuten lang ins Mikro labern läßt und dir erzählt, demnächst werde das Interview über den Sender gehen. Früher mußten Briefmarkensammlungen als Köder herhalten, heute fährt man eben andere Geschütze auf. Ganz abgesehen davon, daß Verlegers sauer sind, wenn du morgen nicht pünktlich auf der Matte stehst. Und das Taxi bezahlen sie dir garantiert nicht!«
Dieses Argument mußte wohl den Ausschlag gegeben haben. Sie zögerte einen Moment und meinte dann: »Vielleicht hast du recht. Ich werde dem Stephan sagen, daß ich mir die Sache noch überlegen will.«
Sie überlegte sich die Sache während der ganzen Fahrt ins Hotel, und bevor die Überlegungen doch wieder in die falsche Richtung gingen, schob ich sie in den Speisesaal, wo sie für die nächste Stunde beschäftigt war. Und danach war es endgültig zu spät für eine Fahrt nach Mainz.
Als ich am nächsten Morgen um halb neun zum Frühstück herunterkam, war Cleo noch nicht da. Zwanzig Minuten und drei Tassen Kaffee später hatte sie sich noch immer nicht gezeigt. Am Telefon meldete sie sich auch nicht, also rein in den Lift und oben Trommelfeuer an ihrer Zimmertür. Endlich rührte sich etwas.
»Wer is’n da?«
»Ich bin’s. Cleo. Mach auf!«
Verschlafen, verstrubbelt und ein bißchen sehr neben der Kappe stand sie vor mir. »Wie spät isses denn?«
»Gleich neun. In einer Stunde müssen wir in Frankfurt sein!«
»Nur keine Hektik«, gähnte sie, »in zehn Minuten bin ich fertig.«
»Das glaubst du doch wohl selber nicht!«
Aber es stimmte. Noch heute ist es mir rätselhaft, wie sie sich in der kurzen Zeit vom Hemdenmatz in eine gutgekleidete, perfekt geschminkte und erstklassig frisierte Frau verwandeln konnte. Da war ein Profi am Werk gewesen!
Wie sich herausstellte, hatte Cleo die Einsamkeit ihres Hotelzimmers nicht ertragen, war nicht daran gewöhnt gewesen, mit den Hühnern ins Bett zu gehen, und hatte noch einen kleinen Abstecher in die Bar gemacht. Wie lange der gedauert hatte, fragte ich nicht, ging mich auch nichts an, obwohl ich dieses verrückte Geschöpf schon richtig gern hatte. Hauptsache, ich lieferte meine Schutzbefohlene ein letztes Mal pünktlich ab. Am Nachmittag würde sie nach Hause fahren. Ich übrigens auch. Vorausgesetzt, die angekündigte Masseninvasion kam nicht allzu spät.
Eine Duisburger Buchhändlerin hatte nämlich einen Bus gechartert und allen interessierten Kunden Mitfahrgelegenheit zum Besuch der Messe angeboten. Offenbar waren eine ganze Menge interessiert, denn sie meldete telefonisch das Eintreffen von ungefähr fünfzig Personen, die alle (???) Evelyn Sanders kennenlernen wollten. Und ob die beliebte (???) Autorin wohl da sei.
Natürlich war sie da, und sie fühlte sich ungeheuer geschmeichelt. Im Kabuff herrschte Hektik. Die Gäste sollten mit einem Willkommenstrunk begrüßt werden, dessen Herstellung reichlich kompliziert war. Anläßlich des Erscheinens von Konsaliks neuem Roman hatten Verlegers einen dazu passenden Cocktail kreiert und ihn »Sibirisches Roulette« genannt. Soviel ich weiß, bestand er in der Hauptsache aus Wodka, Blue Curacao, Zitronensaft und Sekt, sah ziemlich giftig aus und ging fürchterlich in
Weitere Kostenlose Bücher