Das hätt' ich vorher wissen müssen
aber nicht unters Dienstgeheimnis. Außerdem hab ich den Kerl nie leiden können, und für seinen Job ist er sowieso zu alt. Der hat sein Handwerk noch zu einer Zeit gelernt, als nur die Leute Steuern zahlten, die dazu in der Lage waren. Weißt du keinen anderen? Möglichst einen von außerhalb.«
Rolf erinnerte sich seines Bettnachbarn, mit dem er vor zwei Jahren das Krankenhauszimmer geteilt hatte, nur fiel ihm weder sein Name ein noch erst recht nicht das Ressort, für das er zuständig war. »Er arbeitet aber beim Finanzamt, das hat er mir erzählt.«
»Hast du arbeiten gesagt? Und überhaupt brauchen wir keinen Beamten, sondern jemanden, der mit ebendiesen fertig wird!«
Wie es Rolf gelungen ist, Namen und Adresse des damaligen Magendurchbruchs zu erfahren, weiß ich nicht, aber es kostete ihn einen halben Nachmittag und eine Pfundpackung Pralinen. Als er zurückkam, brachte er neben der gewünschten Telefonnummer noch einen Prospekt von der neueröffneten Cafeteria des Kreiskrankenhauses mit.
Nach dem langwierigen Austausch von Krankheitsgeschichte, Diätrezepten und sonstigen Therapien, mit denen sich Wiedergenesene stundenlang beschäftigen können, kam Rolf endlich zum Kern der Sache.
Doch, sagte Herr Reizenstein, er wüßte schon jemanden, eine ehemalige Kollegin, die sich selbständig gemacht habe. Sehr tüchtige Person, da seien wir in besten Händen. Einen schönen Gruß sollten wir bestellen, ihr Nachfolger sei nicht beliebt, und ob sie nicht zurückkommen wolle.
»Bloß nicht«, protestierte Rolf, »dann haben wir ja wieder niemanden.«
Frau Grießbach wohnte eine halbe Autostunde weit weg, und als ich das erstemal zu ihr kam, wußte ich, weshalb sie auf das Tarifgehalt nach Besoldungsgruppe Sowieso verzichtet und sich auf eigene Füße gestellt hatte. Ich stand vor einem wunderhübschen Haus in exklusiver Wohnlage. Seitdem sind wir bemüht, ihren Wohlstand zu mehren, aber ich muß zugeben, daß sie ihn verdient.
»Ein Geschäft wird erst dann ein Geschäft, wenn man dem Finanzamt nachweisen kann, daß es kein Geschäft war«, erklärte sie mir rundheraus, nachdem ich mein Problem dargelegt und meine völlige Unkenntnis in steuerlichen Dingen zugegeben hatte. »Als freie Schriftstellerin haben Sie eine ganze Menge Abzugsmöglichkeiten. Allerdings muß ich mich in diese Materie erst mal reinknien, Künstler zählen bisher noch nicht zu meinen Klienten.«
Jetzt war ich nicht nur Unternehmerin, sondern sogar Künstlerin. Wenn das doch noch meine ehemalige Musiklehrerin erfahren hätte! In Zeichnen hatte ich auch immer eine Vier gehabt.
Wahrscheinlich haben wir es Frau Grießbach zu verdanken, daß wir auch heute noch die Miete bezahlen und gelegentlich in Urlaub fahren können, aber zum eigenen Haus und der Zweitwohnung auf den Bahamas haben wir es noch immer nicht gebracht – trotz meines Status’ als Unternehmer. Die Psychologen sind der Meinung, man dürfe auf keinen Fall zu viel für sich behalten. Der gleichen Ansicht ist das Finanzamt!
»Spare in der Schweiz, dann hast du in der Not!« hatte mir Sven empfohlen, ohne mir allerdings sagen zu können, was ich denn dort sparen sollte. Es blieb ja nie was übrig.
»Zur Berechnung der Lebenshaltungskosten nimmt man am besten sein Einkommen und schlägt zwanzig Prozent dazu«, hatte Rolf gestöhnt, nachdem sein Haushaltsplan mal wieder vorne und hinten nicht gestimmt hatte. »So ziemlich das einzige, wovon man heutzutage mehr für sein Geld kriegt, sind Zahlungsaufforderungen. Was soll denn das hier heißen? Studf. Fr. Zw.?« buchstabierte er.
»Studienfahrt Frankreich Zwillinge«, übersetzte ich schnell.
»Und die kostet fünfhundert Mark?«
»Achthundert. Ohne Taschengeld. Das hier ist bloß die Anzahlung«, korrigierte ich.
»Kannst du mir mal verraten, was sie da eigentlich studieren wollen? Etwa das Pariser Nachtleben?« schnaubte er ärgerlich.
»Sie fahren in die Dordogne und besichtigen Höhlen.«
»Zehn Tage lang? Das könnten sie auf der Schwäbischen Alb billiger haben. Ist das Geld dafür wenigstens absetzbar?«
»Nein. Derartige Ausgaben sind im Kinderfreibetrag enthalten.« Soviel hatte ich schon gelernt.
»Zu meiner Zeit gab es keine Studienfahrten, da sind wir einmal jährlich im Harz herumgestolpert und haben vaterländische Lieder gesungen. Wandertag nannte man das, und studiert haben wir bloß die Speisekarte im Ausflugslokal, ob das Geld noch für Bockwurst und Brause reichte. Aber heute wird den Gören ja alles
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