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Das hätt' ich vorher wissen müssen

Das hätt' ich vorher wissen müssen

Titel: Das hätt' ich vorher wissen müssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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vorigen Monat haben wir ihn begraben.«), und schickte hilfesuchende Blicke zu Herrn Löffelhardt, wenn ich überhaupt nicht mehr weiterwußte.
    Es kamen jedoch auch echte Freunde, bei denen ich mich über das Wiedersehen freute. Lothchen zum Beispiel, mein Intimus aus dem Buddelkasten, noch genauso schüchtern wie früher und immer noch mit von Muttern selbstverfertigter Strickjacke. Oder die Eltern von Mümmchen, bei der ich immer mit Puppen spielen mußte, obwohl ich dafür gar nichts übrig gehabt hatte. Weil wir aber auf dem elektrischen Puppenherd Grießbrei kochen durften, nahm ich diese leblosen Geschöpfe notgedrungen mit in Kauf. Und jetzt hatte Mümmchen schon selber fast erwachsene Kinder – unvorstellbar!
    Frau Maibach notierte Namen, Adressen, Telefonnummern, die mir zugerufen wurden, während ich zum x-ten Male »mit allen guten Wünschen« in ein hingehaltenes Buch schrieb, und später versuchten wir verzweifelt, ihre Notizen auseinanderzuklauben. »Ich weiß wirklich nicht mehr, ob das nun Klaus war oder Uli, der jetzt in Schwäbisch Hall wohnt.«
    »Ist egal, die haben mich beide immer gemeinsam verdroschen.«
    Ein Herr, den ich aber nun ganz bestimmt nicht kannte, näherte sich dem Tisch. Er griff nach einem Exemplar der »Pellkartoffeln« und hielt es mir hin. »Würden Sie wohl so freundlich sein und »Für mein Mütterlein mit einer wehmütigen Träne der Erinnerung« hineinschreiben?«
    »Wie bitte???«
    »Ja, wissen Sie, das ist nämlich so: Früher hat sie in der Onkel-Tom-Straße gewohnt, nun lebt sie in Wilmersdorf im Altersheim, kann sich aber noch genau an alles erinnern. Deshalb hätte ich gerne diese Widmung.«
    Meine Hand sträubte sich, als ich diesen sentimentalen Kitsch schrieb, deshalb kann ich nur hoffen, Mütterlein wußte, wem sie den schönen Satz zu verdanken hatte.
    Kleine Verschnaufpause, der Laden war gerade mal leer. Aber nicht lange. Ein rundes Persönchen rollte durch die Tür und strahlte mich erwartungsvoll an. »Na, mich kennst du wohl nicht mehr? Hab ich mir beinahe gedacht, deshalb habe ich auch das hier mitgebracht.« Sie zog ein großes Foto aus der Tasche. »Hier, die kleine Dicke in der Mitte bin ich.«
    Vor mir lag die Gruppenaufnahme von der ersten Grundschulklasse. Fünfunddreißig Mädchenköpfe, die meisten mit großen Propellerschleifen, grinsten um die Wette. Mich selbst entdeckte ich erst nach längerem Suchen und dann auch nur anhand des Bleyle-Kleids, das ich nie hatte leiden können, weil es immer zum Anstricken in die Fabrik geschickt worden war. Auf diese Weise wurde es zum langlebigsten Kleidungsstück meiner gesamten Garderobe.
    »Dämmert’s langsam?« Ich war so in das Foto vertieft, daß ich mein Gegenüber völlig vergessen hatte. Ein Finger tippte auf das niedliche runde Gesicht mit den Sommersprossen. »Schlank bin ich schon damals nicht gewesen.«
    Endlich fiel der Groschen. »Pummelchen!« Dann verbesserte ich mich schnell. »Inge Peters, stimmt’s?«
    »Jetzt heiße ich zwar Korschatz, aber bleib ruhig bei Pummelchen. Den Namen bin ich sowieso nie losgeworden. Das »chen« kannst du auch weglassen.«
    Pummelchen war das Entsetzen unserer Lehrerin gewesen. Fräulein Korody, ganz im Zeichen der damaligen Zeit geschult und meistens in BDM-Kluft gewickelt, hielt die sportliche Ertüchtigung ihrer Klasse für mindestens ebenso wichtig wie das Einmaleins, aber mit Pummelchen war einfach nichts anzufangen. Es plumpste wie ein Mehlsack in die Sprunggrube, kam am Klettergerüst nicht mal bis zur vierten Sprosse, und eines Tages ist das ohnehin schon etwas wacklige Seitpferd unter Pummelchens Ansturm zusammengebrochen. Dankbar haben wir sie aus den Trümmern gezogen, denn dieses Gerät war uns allen verhaßt.
    Und nun war aus dem Pummelchen ein Pummel geworden, der noch genauso unbekümmert wirkte wie vor vierzig Jahren, als Fräulein Korody nach dem zwanzigsten Bauchklatscher vom Einmeterbrett gedroht hatte: »Warte nur, bis du in den BDM kommst, da werden sie dir die Hammelbeine schon langziehen!« und Pummelchen ungerührt geantwortet hatte: »Das schaffen die auch nicht.«
    Leider blieb uns viel zuwenig Zeit zum Quasseln, weil die Pflicht wieder rief. Der Ansturm hatte zwar nachgelassen, aber noch immer tröpfelten echte und nicht ganz so echte Bekannte in den Laden und erwarteten, daß ich sie sofort wiedererkenne. Mittlerweile hatte ich mir aber eine Taktik zurechtgelegt. Sobald jemand mit ausgestreckten Armen auf mich zukam, stand ich auf

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