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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte sich in diesem Moment am Freitagabend anders entschieden. Vielleicht wäre Kai Minnert noch am Leben.
    »Wie man es macht, macht man es falsch«, seufzte Bonnhofen, als er die Blätter der Vereinbarung zusammenschob und in seiner Aktentasche verschwinden ließ.

Sonntag, 21. März, 15.30 Uhr
    H enner Wortreich war tot. Wahrscheinlich hatte er gar nicht mitbekommen, dass Sanders Kugel unterhalb der Rippen in den Körper eingedrungen war. Wencke hatte noch den verwirrten Blick gesehen, mit dem Wortreich sich nach Glasers Ruf umgeschaut hatte, und dann war er zusammengebrochen. Danach lief alles ab wie im Film: Puls fühlen, Wiederbelebungsversuche. Ein paar verzweifelte Atemzüge lang hatte sie um ihn gekämpft, bis Glaser sie sanft fortzog und sie zu Sanders gingen. Und dann standen sie dort zu dritt und schwiegen. Der Arzt und die Sanitäter waren schon eingetroffen, Wencke bekam ihr Zeitgefühl nicht in den Griff: War nicht eben erst der Schuss gefallen? Und jetzt waren hier zu viele Leute, sie hatte eben doch noch ganz allein mit Wortreich gestanden – es tat gut, dass Sanders ihre Hand nahm.
    »Wir beiden leben noch. Das ist das Einzige, was im Moment zählt«, flüsterte er. »Wenn du so weit bist, dass du reden willst, dann lass es mich wissen.« Und seine Finger schlossen sich fester um die ihren. Dann sagte wieder niemand der drei ein Wort. Was war denn hier los?
    »Entschuldige mich bitte kurz«, sagte Sanders schließlich, ließ sie los und ging weg, aber nicht ohne ihr noch einmal kurz über den Rücken zu streicheln. Er winkte den Zollbeamten zu sich und Wencke sah ihm zu, wie er mit Glaser diskutierte, wie sie in verschiedene Richtungen zeigten und sich etwas notierten. Sanders telefonierte mit dem Handy und lächelte sehr vorsichtig zu ihr hinüber, blickte dann wieder nachdenklich auf die Leiche. Er hatte geschossen. Er hatte einen Menschen erschossen. Direkt neben ihr war es geschehen. Keine Armlänge entfernt.
    Es war verdammt eng hier am Deich, viel zu viele Menschen. Wencke drehte sich um.
    Langsam ging sie am Fuß des Deiches entlang, verdammt, die Schuhe drückten erbarmungslos. Im Gehen streifte sie die Treter ab und ließ sie einfach liegen. Barfuß war es viel besser!
    »Und was ist jetzt mit der Fähre?«, rief ihr eine fremde Stimme hinterher. Welche Fähre? Wencke brauchte eine Weile, um zur Besinnung zu kommen, bis sie wieder gewahr wurde, dass sie hier auf Juist war und in einem Fall zu ermitteln hatte.
    »Er war es doch, oder nicht? Jetzt ham Sie doch den Mörder, können Sie nicht gleich bei der Reederei Bescheid geben, vielleicht können wir ja schon unser Gepäck an Bord stellen?«
    Wencke schaute weg. Hatte sie einen Mörder gefunden? Hatte sie den Fall gelöst? Welchen Fall eigentlich, schließlich gab es nun zwei Tote, aber Sanders war ja kein Mörder. Und Henner Wortreich war auch keiner.
    Da war sich Wencke ganz sicher. Geweint hatte er und verzweifelt war er gewesen, gerade eben noch, als er die Pistole auf sie gerichtet hatte. Es stimmte, er hatte sich die Schuld an Minnerts Tod gegeben. Aber er hatte nicht gesagt, dass er ihn ermordet hatte. Es gab immer mehrere Wahrheiten in einem Fall.

Sonntag, 21. März, 15.56 Uhr
    A lles lief seinen einigermaßen geregelten Gang, von Sanders’ Händezittern mal abgesehen und von Wenckes Zustand. Sie stand ganz offensichtlich unter Schock. Aber sonst waren alle einigermaßen ruhig und gefasst, trotz der Leiche im Gras. Doch dann kam Astrid Kreuzfeldt über den Deich und schrie.
    Wie in einem schlecht inszenierten Stück eines Provinztheaters rannte sie zu ihrem Bruder und warf sich dramatisch über ihn. Als man sie behutsam von ihm löste, war ihre helle Bluse besudelt. Die Sanitäter nahmen sie zur Seite und drehten ihren Kopf, fast mit Gewalt, vom Leichnam weg. Sanders konnte nicht verstehen, was sie unentwegt von sich gab. Es klang wie eine fremde Sprache. Sie war vollkommen hysterisch.
    Allmählich löste sich die Menschenmenge auf, nachdem ein Mann vom Hafen kam und sagte, dass die Schiffe wieder führen und es schon fast vier Uhr sei. Wer also seine Sachen noch zu packen hätte, müsse sich beeilen. Einige spurteten daraufhin los, andere verließen nur zögerlich den Ort des Geschehens. Auf jeden Fall wurde es merklich leerer. Sanders schaute sich um, wo war eigentlich Wencke? Lagen da hinten nicht die geliehenen Turnschuhe?
    Sanders’ Handy piepte.
    »Rieger hier, Spurensuche, sagen

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