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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Trainingshosen und schlurften über den Kiesweg aus der herrschaftlichen Einfahrt. Erst auf dem Sträßchen fingen sie an zu rennen. Brennnesseln und Bremsen warteten auf ihre Waden, Nacktschnecken hatten Leimspuren gelegt. An der Kehre hatten sie den Schlaf und die Bremsen abgeschüttelt, Tau glitzerte auf den Wiesen, wer ein Leben ohne Kinder wollte, pinkelte an den elektrischen Weidezaun. Vor der letzten Steigung sagte Krüger »Hopp!«, und sie sprinteten bis in den Speisesaal. Wie kann ein ganzer Raum nach Butter und Hagebuttentee riechen. Jeden Morgen wurden die Ergebnisse der Friedensfahrt ausgehängt. Ampler und Raab sind Helden wie wir, da spreizt es sich viel leichter in den Hürdensitz, da schockt man den Medizinball viel weiter und hebt auch beim zwölften Steigerungslauf ordentlich die Knie. Aber bloß nicht in die Ausdauergruppe gesteckt werden! Abends erzählte einer Geister-, Stuntman- oder Indianergeschichten, einer, der sich damit auskannte. Zur Disko waren die Mädchen nicht wiederzuerkennen. Dass sich eine rotbäckige Kugelstoßerin in eine Fee mit Seidenhaar verwandeln kann, ist doch Hexenwerk.
    Weil er nicht mehr trainiert, kann er die diesjährige Friedensfahrt komplett im Fernsehen verfolgen. Der Prolog findet in Warschau statt, Ludwig gewinnt hauchdünn vor Raab. Die erste Etappe entscheidet dann Raab im Stadion von Olsztyn für sich und übernimmt das Gelbe Trikot.
    Leo ist mit Jenny Posner unterwegs und präsentiert deren neue Kollektion. Das Gute und das Schlechte an der Mode ist, dass jedes Frühjahr und jeden Herbst alles von vorn losgeht. Zuerst hat Eva nicht zugestimmt. Wenn ihre Tochter keine Vieren oder Fünfen mehr nach Hause brächte, wenn sie sich an Absprachen hielte und sich einen anderen Ton zulegte, dann könne man darüber reden. »In Wahrheit ist sie nur neidisch, dass sie hierbleiben muss«, sagte Leo. »Außerdem passt sie nicht mehr in die Klamotten.« Jenny Posner reiste eigens an, tiffanyblau parkte der Barkas auf dem Trottoir. »Aerobic, Jogging und zum Abend nur was Leichtes«, rief sie aus dem Fenster, als sie mit Leo abfuhr. – »Oder auch mal ein Buch lesen«, sagte Eva. Wie ein Elternpaar im Trauerteig, das sein rankes Kind in die Ferien verabschiedet, standen sie am Zaun. Rund und träge hockte der kastrierte Kater auf der Hausschwelle, und ja, der Flieder stank.
    Eine Traueranzeige liegt im Briefkasten. Friedrich, Rudolf ist nach jahrelanger Krankheit verschieden. Er hat von 1944 bis 1983 gelebt, also keine vierzig Jahre. Es beklagen den Tod ihres Mannes, ihres Vaters, ihres Sohnes, ihres Bruders, ihres Schwagers und Vetters: die Anverwandten. Die Beisetzung findet auf dem Südfriedhof statt. »Ein Mann lebt ohnehin nur so lange, wie er Kinder zeugen kann«, sagt Eva. »Eine Frau so lange, bis eines ihrer Kinder stirbt.« Ein Mann, denkt der nicht genannte Neffe des Toten, lebt so lange, bis er stirbt. Das Gleiche oder dasselbe gilt auch für eine Frau.
    Ohne einen einzigen Etappensieg gewinnt Falk Boden die Gesamtwertung. Ludwig und Raab teilen sich die Einzelerfolge, Vorjahressieger Ludwig wird bester Bergfahrer, bester Sprinter und vielseitigster Fahrer, aber nur Gesamtdritter. Die Radrennfahrer der DDR dominieren auch die Mannschaftswertung. Alle fahren italienische Colnago-Räder, die mit dem dreiblättrigen Kleeblatt. Noch nie hat er ein vierblättriges gefunden, außer mal in einem Kochbuch.
    Er sieht Formel Eins und den Musikantenstadl, er sieht Ein Colt für alle Fälle und Willi Schwabes Rumpelkammer: »Grün ist die Heide, die Heide ist grün. Aber rot sind die Rosen, wenn sie da blüh’n.« Dabei vernachlässigt er seine Pflichten. Er geht zur Telefonzelle und ruft Eva im Büro an: »Ich wollte dir sagen, dass ich schon alles erledigt habe. Darf ich ein bisschen fernsehen? Ferienprogramm? Und wann kommst du noch mal nach Hause?« Noch immer wird Odin vermisst. Da sie »am Abend« gesagt hat, kann er noch weiter glotzen. Das Wohnzimmer sieht aus wie ein Schweinestall. Erdnussflips liegen auf dem Couchtisch, auf dem Fensterbrett stehen Evas voller Aschenbecher und zwei leere Fläschchen Goldbrand, ein Apfelgriepsch und ein BH liegen auf dem Sessel. Es riecht streng: Theo hat in die Ecke gepisst. Man muss über die Anschaffung eines Katzenklos nachdenken, noch hilft 8 x 4. Mit eingeklappten Ohren sitzt das Tier da und sieht einem dabei zu, wie man fernsieht. »Na, du Pfeife, du fetter Eunuch, du schwuler Kater. Was hast du mit Odin gemacht? Hast du

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